Villa Hügel in Essen Josef Albers: Vom Flaschensammler zum Weltkünstler

In der Villa Hügel wird Josef Albers mit 170 teils unbekannten Arbeiten gefeiert. Es ist eine Huldigung der Form und ein Fest der Farben.

Essen-Hügel. Josef Albers (1888 - 1976), dieser bescheidene Sturkopf aus dem Ruhrpott in Bottrop, einst Volksschullehrer in seiner Heimatstadt, schrieb sich 1920 mit 32 Jahren als ältester Student am Bauhaus ein. 1950 war er 62 Jahre alt, inzwischen amerikanischer Staatsbürger, als er seine erste „Homage to the Square“ schuf, jene berühmte Bildserie, die eine überwältigende Wirkung auf amerikanische Künstler wie Agnes Martin oder Robert Ryman hatte. 25 Jahre lang blieb er bei diesem Thema, in dem die Malerei des 20. Jahrhunderts einen Höhepunkt erlebte. Die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung feiert ihr 50-jähriges Bestehen mit einer triumphalen Schau des Künstlers in der Villa Hügel, die plötzlich wie ein Jungbrunnen erscheint.

Josef Albers, Künstler

„Interaction“ ist der Untertitel dieser Retrospektive, in der die Albers-Stiftungen in Deutschland und Amerika, vereint mit der Kulturstiftung Ruhr zusammenwirken. Die Schau gipfelt in einem „Lobgesang“ auf das Quadrat. Dabei handelt es sich um Kompositionen mit ineinander geschachtelten Formaten. Sorgfältig mit der Hand und dem Malmesser schob Josef Albers die Ölfarbe über die grundierte, raue Hartfaserplatte. Mit Hingabe und Beharrlichkeit. Eine Produktion wie ein geistiges Exerzitium.

Am Ende seines Lebens hatte er über 2000 Gemälde dieser Art geschaffen. In ihnen macht sich die Farbe trotz der strengen Komposition selbstständig, vibriert in unterschiedlichen Dichtigkeiten, agiert über die jeweilige Farbfläche hinaus, wirkt sinnlich-ungreifbar. Im Zeitalter der 3D-Animation überrascht es, wie die Quadrate in der Mitte wie im Zoom vor und zurückspringen. Dabei entfalten sie ihre Poesie, ihre Klarheit und Kraft.

Jeden Studenten einer Kunstakademie sollte man mitsamt Professor für vier Wochen in dieses Walhalla der Malerei zwangsversetzen, auf dass die Kunst der Gegenwart wieder zu einem spirituellen Akt wird und sich nicht in der Genialität erschöpft.

Heinz Liesbrock und Ulrike Growe vom Josef Albers Museum Quadrat Bottrop und Jeannette Redensek von der Albers-Foundation in Bethany nehmen den Besucher vorsichtig an die Hand, um ihm gemäß dem Motto von Josef Albers die Augen zu öffnen.

Sie beginnen mit den Glasarbeiten des armen Studenten und Lehrers am Bauhaus in Weimar und Dessau. Als Flaschensammler zog er in der schlimmsten Inflation über die Müllhalden, zertrümmerte mit einem Hammer die farbigen Flaschen und steckte die Scherben in den Rucksack.

Im Bauhaus verarbeitete er sie zu farbigen Puzzles. Er nähte sogar bunte Glassteine mit Drahtfäden aneinander, lustige Pattern findend. Brillant sind die bauchigen Reste, in denen dieselbe Farbe je nach ihren Buckeln die verschiedenen Rottöne annimmt. Wie selbstverständlich löste er sich dabei von der gegenständlichen Bildwelt. Zu seinem größten Leidwesen gingen bei seiner Emigration nach Amerika, wo er zunächst am legendären Black Mountain College unterrichtete, zahlreiche Glasbilder zu Bruch.

Er fand mit seiner Ehefrau Anni in Mexiko sein gelobtes Land. 1935 rei/ste er erstmals dorthin und ließ sich von Licht und Farbe inspirieren. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er nicht gemalt, sondern im Geist des Bauhauses handwerklich gearbeitet. Ein erster Schritt zur Bildgestaltung waren die Bauten und Kulturen der Maya und Azteken, die er fotografierte, um ihre Strukturen zu erfassen.

Ende 1946 bis Oktober 1947 legten Anni und Josef Albers ein Forschungsjahr ohne Lehrverpflichtungen ein. Sie hielten sich in New Mexico und Mexiko auf. Dort entsteht der Bildtypus des Adobe. Adobe-Häuser sind Lehmziegelhäuser. Bei Josef Albers erhebt sich eine Wand jeweils mit ihren farbig gefassten Fenstern und Türöffnungen parallel zum Bildrand. Der Künstler erprobt dabei erstmals die Wirkung reiner, ungemischter Farben, die aufeinandertreffen und sich dabei zu verändern scheinen.

Ein weiteres Motiv lässt sich aus mexikanischen Teppichmustern herleiten. Dabei schieben sich auf den Bildtafeln Trapeze, Dreiecke und Rechtecke ineinander und bestehen aus moussierenden Farben, die der Künstler mit einem Messer über den leicht gerasterten Untergrund der Masonitplatten schiebt.

„Ich lasse die Farbe sprechen“, steht an einer der Wände in der Ausstellung. Jede Farbe stehe in Zwietracht und in Eintracht mit ihrem Nachbarn. Es gibt unzählige Beispiele, wie er ein tristes Grau zum Tanzen bringt, wie er selbst „Ärmliches“ reich und schön werden lässt.

Wie ein Forscher geht er vor, auf der Suche nach der Nuance im Farbton, nach der Bewegung in der Komposition, nach dem Ineinander und Widerspruch in der Raumauffassung eines Bildes. Die Bewegung, die er sucht, ist nie linear, sondern stets räumlich. Sie findet etwa als unerklärliches Zwischenspiel zwischen Champagnerweiß, weißlichem Weiß und sandigem Ton statt. Er selbst nennt es den „Pulsschlag des Lebens“, der durch seine Kunst gehen soll. Es ist ein emotionaler Appell an die Farbe.

Albers hatte die Angewohnheit, auch für die Interpretation zukünftiger Kunsthistoriker nichts dem Zufall zu überlassen. So notierte er seit 1940 auf den Rückseiten der Arbeiten nicht nur die Farben, sondern auch die Hersteller. Jeannette Redensek fand heraus, dass Albers Farben von mehr als 40 Herstellern und insgesamt Hunderte von unterschiedlichen Pigmenten benutzte. Ein Kadmiumgelb kann je nach Firma um ein, zwei Töne dunkler sein. Mal war es ein reines, mal ein leicht grünstichiges Blau. Selbst Firnis lässt die Pigmente in unterschiedlichen Nuancen erscheinen. Dabei erstaunt, dass Albers die Ölfarben ungemischt direkt aus der Tube auftrug und mit dem Malmesser die Dicke des Farbauftrags bestimmte, und zwar von der Mitte zum Rand und in Abstufungen. So können sich die Quadrate scheinbar teleskopartig in- oder auseinander oder abwechselnd in beide Richtungen verschieben.

Jeannette Redensek, Kunsthistorikerin

Friedhelm Mennekes, dieser kunstbegeisterte Priester und katholische Theologe, ging während der Pressekonferenz geradezu beglückt durch die Räume. Denn die Kuratoren halten sich an die Bemerkung des Künstlers, „Homages to the Square“ seien „Ikonen des 20. Jahrhunderts“ und stellen in ein kleines Zimmer zugleich Bilder der orthodoxen Kirche und spätgotische Plastiken.

Der virtuelle Raum der Farbe, die Sensibilität in den Abstufungen, in den matten oder glänzenden Schichten, machen die Malerei zu einem physischen und mentalen Erlebnis fürs Auge. Selbst wenige Tage vor seinem Tode arbeitete Albers noch mit sattem Coelinblau, Kobaldgrün und Barytgrün, auf der Suche nach der Entgrenzung der Farbe.

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