Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer: Kein Zwang zur Verschleierung

Interview: Die Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer erhält am Montag in Düsseldorf den hoch dotierten Preis der Gerda-Henkel-Stiftung.

Frau Professor Krämer, wenn eine Debatte wie die um Thilo Sarrazins Thesen durch Deutschland wogt, werden Sie als Islam-Expertin gefragt, wie integrationsfähig Muslime denn überhaupt sind. Sehen Sie sich als Anwältin der Muslime?

Krämer: Immer wieder rücke ich in diese Ecke, obwohl das nicht zu meiner Berufsbezeichnung gehört. Ich bin an sich Historikerin und bemühe mich, komplizierte Dinge zu erklären, nicht, Missstände zu entschuldigen. Mein Gebiet sind nicht die sozialen Brennpunkte in deutschen Großstädten. Das Problem an dieser Debatte ist, dass so viele verschiedene Aspekte grob vermengt werden. Es ist eine legitime Frage, ob der Islam eine feste Vorstellung von Recht, Verfassung und Demokratie hat, aber jede Art von Vererbungsdiskussion ist mir zuwider.

Krämer: Die Vertreter der Muslime in Deutschland interessieren sich in der Regel nicht sehr dafür, was ich sage. Wenn wir uns treffen, geschieht das in angenehmer Atmosphäre.

Krämer: Klare Worte und ein Standpunkt, der auf einer gewissen Kenntnis der Dinge beruht, kommen gut an, auch wenn die Positionen unterschiedlich bleiben. Es gibt sicher Muslime, die westliche Meinungen zum Islam kategorisch ablehnen, aber die kommen dann gar nicht zu solchen Veranstaltungen.

Krämer: Zwanglose Begegnungen etwa in der Hotelbar oder in Privatwohnungen sind schwierig. Andererseits habe ich als europäische Frau einen Sonderstatus: Man erwartet von mir als Nichtmuslimin nicht, dass ich die örtlichen Bescheidenheits- und Kleidervorschriften beachte. Und ich habe prinzipiell Zugang zur männlichen wie zur weiblichen Sphäre - das haben die männlichen Kollegen nicht.

Krämer: Es ist fast ausschließlich von den dunklen Themen die Rede: Gewalt, Scharia, Ehrenmorde, Unterdrückung der Frau. Man könnte den Eindruck bekommen, alle Bewohner deutscher Großstädte muslimischen Glaubens wären Finsterlinge. Kulturell wird in Museen und kulturellen Zentren beachtlich viel geboten, um auch den Reichtum und die Schönheit der islamischen Kultur zu vermitteln. Doch es funktioniert noch nicht, diese Inhalte auch in den politischen Kontext zu überführen.

Krämer: Nicht aus dem islamischen Lager. Wenn es Anfeindungen gibt, dann aus einem dezidiert pro-israelischen Lager, das einen neuen Antisemitismus fürchtet und Islamwissenschaftlern, die sich mit Islamismus befassen, gerne unterstellt, sie unterstützten dessen Positionen.

Krämer: Für Muslime ist der Koran das Wort Gottes, das niemals verändert werden darf. Durchaus unterschiedlich ist aber die Auslegung, was genau gemeint ist. Und die Auslegung einzelner Muslime ist in keiner Weise zwingend. Man kann Phänomene wie die Gewalt nicht wegdisputieren. Das Entscheidende ist, das man sie nicht als repräsentativ für das Ganze ansieht. Das ist ja in der Bibel nicht anders. Wenn Sie das Alte Testament lesen, könnten Sie auch Gewalt und Intoleranz aus ihm ableiten.

Krämer: Das wird zwar immer behauptet, aber kaum jemand liest täglich den Koran. Die meisten Muslime haben bestimmte Annahmen, was etwa Essen und Verschleierung angeht. Damit bewegen sie aber vor allem im Traditionsrahmen ihrer Gemeinschaft; muslimisches Leben sieht von Marokko über Usbekistan bis Indonesien ganz unterschiedlich aus.

Krämer: Wenn Muslime sich mehr kulturell artikulieren und als ganz normale Bürger dieses Landes präsent sind - das wäre meines Erachtens der Durchbruch. Gegenüber der Diskussion vor zehn Jahren ist aber schon viel passiert. Viele Muslime sind in die hiesige Gesellschaft hineingewachsen und heutzutage gut ausgebildet - als Rechtsanwälte, Unternehmer, Künstler, Politiker. Es gibt also durchaus Anlass zu Optimismus.

Krämer: Das meiste soll natürlich in die Forschung zurückfließen, entweder meine eigene oder die jüngerer Wissenschaftler, der Rest in Reisen und Kultur. Aber richtig nachdenken möchte ich darüber erst nach der Preisverleihung.

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