Himmlische Pausbacken

Sie sind weltbekannt, diese Putten. Doch wer hat sie erschaffen, und was nehmen die beiden in den Blick? Die Spurensuche führt nach Dresden.

Dresden. Einfach niedlich sehen sie aus, die beiden Engelchen mit ihren Pausbäckchen und den rötlichen Locken. Und wie sie so verträumt nach oben schauen. Wohin eigentlich? Natürlich gen Himmel, es ist doch Weihnachten.

Weit gefehlt. Die beiden Engelchen schauen in Richtung der Gottesmutter. Und zwar nicht im übertragenen Sinn, sondern ganz bildlich gesprochen. Sie sind Teil eines Gemäldes, das zu den berühmtesten der Renaissance gehört, der "Sixtinischen Madonna" von Raffael. Und nicht Raffaels langjährige Wirkungsstätte, der Vatikan in Rom, sondern die Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden ist stolze Besitzerin dieses Schatzes.

Andreas Henning, Kurator für italienische Malerei der Gemäldegalerie, kennt sich nicht nur bestens mit der Geschichte des Gemäldes aus, sondern auch mit der Verwendung der Engel in der Alltagskultur. Henning erklärt, dass die himmlischen Wesen auf der ganzen Welt bekannt sind. Dass sie aber vom italienischen Renaissance-Künstler Raffael (1483-1520) erschaffen wurden, sei nur wenigen bekannt.

In seinem Büro hat der Kunsthistoriker mittlerweile eine stattliche Sammlung von Gegenständen, die die Raffael-Engel zieren. Den großen Bekanntheitsgrad der Putten nennt er "fantastisch". Einen besseren Marketingträger für die Galerie und das Gemälde könne es gar nicht geben. Allerdings stoße die Verwendung dann doch manchmal an die Grenzen des guten Geschmacks, beispielsweise, wenn eine Backmischung für ein "Erotikbrot" mit den Engelchen bedruckt sei.

In Deutschland kommt man insbesondere in der Vorweihnachtszeit nicht an den Raffael-Engeln vorbei. Sie zieren Geschenkpapier, Weihnachtskarten, Kartonagen. Der Geschenkartikel-Hersteller "bsb" aus dem westfälischen Steinhagen etwa hat die Engel 2005 erstmals ins Sortiment auf- und seitdem nicht mehr herausgenommen - wegen des großen Erfolges.

Dabei ist die "Auskopplung" der Engel, wie es Henning nennt, gar keine Erfindung unserer Zeit. Schon zu Beginn des 19.Jahrhunderts waren sie auf Schmuckstücken, Porzellan oder in Kupferstichen zu sehen.

Doch beginnen wir am Anfang. Raffael malt die "Sixtinische Madonna" 1512/1513 für den Hochaltar der Klosterkirche San Sisto in Piacenza. Mehr als 200 Jahre später nimmt der sächsische Kurfürst und polnische König AugustIII. (1696-1763) Verhandlungen mit den Mönchen des Klosters über den Verkauf des Gemäldes auf. August will seiner Kunstsammlung einen Raffael hinzufügen, weil eben jede Galerie, die etwas auf sich hält, ein Kunstwerk dieses Künstlers ihr Eigen nennt. Nach zweijährigen zähen Verhandlungen kann August die "Sixtina" für ein Vielfaches des Geldes, das er ansonsten für Gemälde ausgibt, erwerben. Im Januar 1754 wird sie nach Dresden gebracht.

In der Gemäldegalerie erhält das Bild einen prominenten Platz. Aber der Star der Sammlung wird es erst rund 50Jahre später, als die Romantiker es für sich entdecken - und bekannt machen. Es wird massenhaft kopiert. Und 1803 werden erstmals die Engel allein verwendet, für das Schloss Wilhelmshöhe in Kassel. Damit beginnt der Siegeszug der himmlischen Wesen durch die Alltagskultur.

Dabei malte Raffael seine Engel erst ganz zum Schluss in sein Weihnachtsgemälde, erläutert Henning. "Zunächst waren nur Wolken zu sehen. Aber Raffael hatte offenbar das Gefühl, dass das Bild unten geschlossen werden musste." Sie schauen hinauf - in der Erwartung, dass Maria das Jesuskind in die irdische Welt trägt. Zugleich seien sie Sympathieträger, die den Betrachter ins Bild zögen.

Heute kann jeder die Engel verwenden, denn 70Jahre nach dem Tod eines Künstlers erlöschen die Urheberrechte. Wer allerdings eine hochwertige Reproduktionsvorlage benötigt, der muss sich an das Museum wenden und eine Lizenz erwerben. Das Geld wiederum wird für den Erhalt des Gemäldes verwendet, der den Freistaat Sachsen jedes Jahr erhebliche Summen kostet. Und so halten die Engel das Gemälde Raffaels, der den Namen eines Erzengels trägt, nicht nur in Erinnerung, sondern auch gut in Schuss.

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