Heilige Orte — auf Pilgerreise im Rheinland

Der neue Bildband „Pilgerorte“ stellt zahlreiche Ziele in der Region sowie die Geschichten dahinter vor — die Erkundung ist nicht nur zu Fuß eine Reise wert.

Köln. Pilgern liegt nicht erst seit Hape Kerkelings Wanderung nach Santiago de Compostela im Trend. Dabei muss man nicht unbedingt ferne Ziele wie Rom, Jerusalem oder den Nordwesten Spaniens ins Visier nehmen. Auch das Rheinland bietet eine Fülle von bekannten Pilgerstätten — etwa Kevelaer am Niederrhein oder Köln mit seinem Dom.

Vorgestellt werden sie jetzt alle in einem neuen Bildband von Jürgen Kaiser und Fotograf Florian Monheim. Die Autoren spannen in ihrem reich illustrierten Werk den informativen und unterhaltsamen Bogen von Lokalheiligen wie Lüfthildis zu Lüftelberg über Stadtheilige wie Quirinus in Neuss und Kaiser Karl in Aachen bis hin zu neu entdeckten Pilgerstätten wie die Bruder-Klaus-Kapelle in Wachendorf.

Den Pilgern im Mittelalter ging es nicht darum — wie zum Teil bei den heutigen Jakobsweg-Besuchern — aus dem Alltag auszubrechen. Die Menschen in jener Epoche wollten offenkundig durch die Pilgerfahrt einen persönlichen Fürsprecher gewinnen, der bei irdischen Nöten hilft, der aber auch nach dem Jüngsten Gericht Beistand gewährt. Oft ging es auch ganz konkret um die Heilung von Gebrechen und Krankheiten, für die es damals keine Hilfe gab.

Ihre Wurzeln haben auch heutige Großveranstaltungen in früheren Jahrmärkten, die an den Pilgerorten stattfanden. Und von Anfang an waren die Pilger auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Die Amtskirche stand den Volkswallfahrten eher skeptisch gegenüber, gründeten sich diese doch teilweise schon in Kelten- oder Römerzeiten. Bei der Gegenreformation wurde das Wallfahrtswesen aber auch als politisches Instrument von der katholischen Kirche gefördert, um die Massen für den „richtigen“ Glauben zu begeistern.

Im späten 18. und 19. Jahrhundert mit der Aufklärung und der Säkularisation überwog wiederum die Ablehnung der Wallfahrten. Erst mit der Romantik gab es in Kirchenkreisen wieder ein Umdenken. Im Rheinland, in dem sich die katholische Kirche gegen die Reformation stemmte, findet sich heute eine eindrucksvolle Zahl an Pilgerstätten, auch wenn diese nicht mehr die ganz große Bedeutung für das Leben der Menschen haben.

Zu den großen Pilgerzielen gehört der Aachener Dom mit der Grabstätte und dem Thron Karls des Großen. Goldglänzend bildet der prunkvolle Schrein den Mittelpunkt des Gotteshauses. Heilig war das Leben des Herrschers nicht unbedingt, er wurde durch eine Propagandaschlacht eines späteren Nachfolgers, Heinrich IV., dazu erhoben, um die Machtposition des Kaisertums zu stärken. Einen spätromantischen Märtyrerimport gab es im Städtchen Bad Münstereifel. 844 kamen die seltenen Reliquien aus frühchristlichen römischen Gräbern von Rom in die Eifel. Bis heute ruhen die Gebeine in der Stiftskirche an der Stelle, wo sie vor 1200 Jahren abgelegt worden waren.

Auch im Bonner Münster haben die Gebeine frühchristlicher Märtyrer ihren Platz gefunden. Zeitweise hat man sie vergessen und im 19. Jahrhundert in verstaubten Kisten der Turmkammer wiederentdeckt. Unter dem modernen Schrein in der Krypta finden sich die ursprünglichen Gräber in den Resten einer Grabkammer aus dem 6. Jahrhundert. Auch eine römische Totengedenkstätte wurde entdeckt.

Zu den wichtigen Pilgerstätten in Düsseldorf gehört die Pfarrkirche Sankt Lambertus mitten in der Altstadt. In der heutigen Landeshauptstadt gab es mit Graf Wilhelm von Berg einen Reichsfürsten als adligen Reliquiensammler, der seinem Land einen neuen geistigen Mittelpunkt geben wollte. In der Kirche findet sich auch das Reliquiar des heiligen Apollinaris, der Düsseldorfer Stadtpatron ist. Seine Gebeine kamen als Kriegsbeute der Auseinandersetzung mit der Abtei Siegburg in die Stadt.

Zu den wichtigsten Pilgerzielen bis heute zählt definitiv Kevelaer — an keinem Ort der Region kann man besser verstehen, was rheinischer Katholizismus bedeutet. In der Stadt am Niederrhein entstand ein regelrechter Pilgerbetrieb mit einer Fülle von Bauten. Jedes Jahr kommen Hundertausende. Spirituelles Zentrum des großen Wallfahrtbezirks ist ein kleinformatiges Marienbildchen auf Papier.

Ein weiteres Zentrum ist Köln mit seinem Dreikönigenschrein im Dom. Um ihn wurde aktuell auch die moderne Domwallfahrt wiederbelebt. Nach Köln kamen die angeblichen Gebeine der Heiligen Drei Könige in einem wahren Triumphzug unter Erzbischof Rainald van Dassel als Kriegsbeute aus Mailand. Sie bescherten Köln und dem Dom einen unglaublichen wirtschaftlichen und geistigen Aufschwung im Mittelalter. Eine wundersame Reliquienvermehrung gab es nur wenige hundert Meter entfernt in Sankt Ursula, wo die „Gebeine der elftausend Jungfrauen“ in der Goldenen Kammer zu sehen sind.

Weitere Pilgerorte, die im Bildband vorgestellt werden, sind unter anderem St. Jost in Langenfeld mit dem unbekannten Pilgerheiligen St. Quirinus der auf dem Dach der Neusser Basilika thront, die heilige Sandale in Sankt Salvator im Eifelort Prüm sowie der wundersame Knochensplitter in der Gräfrather Damenstiftskirche in Solingen.

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