Zensur Gregor Schneider - Der Bildhauer als Opfer der Kunstzensur

„Wen juckt Zensur heute noch?“ fragt Gregor Schneider — und schildert seine eigenen Erfahrungen.

Zensur: Gregor Schneider - Der Bildhauer als Opfer der Kunstzensur
Foto: dpa

Mönchengladbach/Münster. Die Zensur ist ein hochaktuelles Thema seit dem Mediengesetz in Polen und den Repressionen gegen eine freie Presse in der Türkei. Der deutsche Satiriker Jan Böhmermann durchleidet es gerade, was sein vermeintliches Schmähgedicht auf Staatschef Recep Tayyip Erdogan für ein Erdbeben verursacht. Weniger Aufmerksamkeit erfuhr dagegen Gregor Schneider. Der Mönchengladbacher Künstler und Professor an der Kunstakademie Düsseldorf wird seit vielen Jahren von Kunstmanagern schikaniert. Seine künstlerische Freiheit wird massiv beschnitten. Jetzt tritt er an die Öffentlichkeit.

Zensur: Gregor Schneider - Der Bildhauer als Opfer der Kunstzensur
Foto: Gregor Schneider

„Wen juckt Zensur heute noch?“ heißt sein provokanter Titel heute um 18 Uhr im Hörsaal der Kunstakademie Münster anlässlich der „Münster Lectures“. In krakeliger Kinderschrift fügt er der Einladung Fragen wie die nach dem plötzlichen Polizeischutz von Künstlern hinzu. Diesen Schutz musste er selbst in Anspruch nehmen, als er sich mit einem Sterberaum beschäftigte, den er ursprünglich als transportablen Nachbau eines Raums aus dem Museum Haus Lange/Haus Esters in Krefeld sah. Der Telefonterror, den er erlitt, muss grausam gewesen sein. Es dauerte sechs Jahre, bis er das Projekt unter dem kommissarischen Leiter des Kunstraums Innsbruck, Veit Loers, verwirklichen konnte.

Schneider fragt in der Einladung zugleich, ob uns Zensur nur betrifft, wenn wir persönlich betroffen sind. Wenige Tage nach der Einladung nach Münster schickt er die Behauptung hinterher, der Vortrag finde nicht statt, weil sich niemand dafür interessiere. Ein typisches Manöver der Irritation durch den Künstler. Denn wer interessierte sich schon für ihn, als er 2005 von der Biennale-Leitung nach Venedig eingeladen wurde, um den Markusplatz zu bespielen und dann in einer simplen E-Mail des Biennale-Chefs erfuhr, in Rom habe man sich dagegen entschieden, „aufgrund seiner politischen Natur“?

Er plante einen schwarzen, nicht begehbaren Kubus in den Maßen der Kaaba in Mekka für den Platz. Aber er scheiterte nicht nur in Venedig, sondern auch in New York, London, Paris, Saragossa, Fellbach, Singapur, Shanghai, Malaysia, Kiew, Neuchâtel und selbst in Berlin, wo man eine Aufstellung vor dem Hamburger Bahnhof als zu heikel ansah. Peter Klaus Schuster, Generaldirektor der Staatlichen Museen, legte sein Veto ein.

Gregor Schneider, Künstler

Schneider erklärt: „Sie behaupteten stets, es bestünde die Gefahr von Anschlägen.“ Dabei reflektiert seine Installation die Kaaba in Mekka wie das Schwarze Quadrat von Maler Kasimir Malewitsch. Sein Ergebnis: Der schwarze Würfel ist die Grundform der modernen Kunst. Auch der Dogenpalast hat arabische Wurzeln.

Erst in Hamburg konnte der Künstler zwischen Alt- und Neubau der Kunsthalle sein Projekt störungsfrei verwirklichen. Und dies mit ausdrücklicher Billigung des Vorsitzenden der norddeutschen Muslim-Gemeinde, weil der Islam keineswegs die Nachbildung der Kaaba verbiete. Nun fragt Schneider im Vorgriff auf den heutigen Vortrag, ob der Künstler eine Rechtsschutzversicherung brauche? Und ob es um die Freiheit der Kunst oder nur um unsere Bequemlichkeit gehe.

Schneider nahm 2011 am deutsch-indischen Jahr in Kalkutta teil. Er schuf eine Collage zum Durga Puja, dem höchsten Fest im Hinduismus zu Ehren der Göttin Durga. Als er die indisch-deutschen Überreste in der Kasseler Karlskirche zur Documenta zeigen wollte, bekam er eine Absage. Schneider: „Die Documenta lehnte das Projekt ab, intervenierte und brachte die evangelische Kirche dazu, ihren Auftrag zurückzuziehen.“ Der kulturelle Transfer zwischen zwei Ländern und zwei Religionen fand schließlich in Indien statt.

Kaum um diese traurige Erfahrung reicher bereitete er zur Ruhrtriennale 2014 „Totlast“ als Inszenierung in einer Tunnelröhre für das Wilhelm-Lehmbruck-Museum vor. Doch der Duisburger Oberbürgermeister Sören Link (SPD) blies den unterirdischen Bau in letzter Minute ab. Die Idee erinnere zu sehr an das Unglück der Love Parade. Die Stadt sei noch nicht reif für ein solches Kunstwerk. Prompt warf Schneider dem OB lokalpolitische Gründe vor. Der Sammler Horst Spankus zog aus Solidarität mit Schneider seine Leihgaben aus dem Museum ab. Das Projekt wurde in Bochum verwirklicht.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Unwiderstehliche Grusel-Revue
Acht Schauspiel-Talente begeistern im Düsseldorfer Doppelstück „Das Sparschwein/Die Kontrakte des Kaufmanns“ Unwiderstehliche Grusel-Revue
Zum Thema
Aus dem Ressort