Ben Riepe im Interview: Freie Tanzszene trifft auf Stadt-Ballett

Performance-Perfektionist Ben Riepe inszeniert für Ballettdirektor Martin Schläpfer „Environment“. Zuvor zeigt er im November seine Produktion „Carne Vale“.

Ben Riepe im Interview: Freie Tanzszene trifft auf Stadt-Ballett
Foto: Riepe

Düsseldorf. Ben J. Riepe hat einen Auftrag, um den ihn praktisch jeder — zumal freischaffende — Choreograf beneiden muss: Er kreiert ein Tanzstück für Martin Schläpfers Ballett am Rhein. Überhaupt ist der Performance-Perfektionist (38) höchst präsent. Im November feiert er die Uraufführung von „Carne Vale“ in der Kunsthalle Düsseldorf. Bei den „Kunstpunkten 2017“ an diesem Wochenende öffnet er sein Studio für das Publikum. Und zur Ausstellung „Reformation?“ im Stadtmuseum hat er Wort-Beiträge abgeliefert, die überraschen.

Ben Riepe zeigt am Wochenende den Probenprozess zu seiner neuen Produktion „Carne Vale“.

Ben Riepe zeigt am Wochenende den Probenprozess zu seiner neuen Produktion „Carne Vale“.

Foto: Riepe/Julia Severing

Herr Riepe, sind Sie ein guter Christ?

Ben Riepe zeigt am Wochenende den Probenprozess zu seiner neuen Produktion „Carne Vale“.

Ben Riepe zeigt am Wochenende den Probenprozess zu seiner neuen Produktion „Carne Vale“.

Foto: Riepe

Riepe (lacht): Ich würde mich gar nicht als Christ bezeichnen. Wobei ich natürlich viele Werte des menschlichen Miteinanders gerade in der heutigen Gesellschaft wichtig finde. Und ich bin in der christlichen Kultur aufgewachsen, bin kultur- und kunstgeschichtlich sozialisiert.

Immerhin haben Sie für ihre Performance „Livebox Personae“ Szenen nach biblischen Motiven gestaltet.

Riepe: Ja. Ich arbeite mit kunstgeschichtlichen Bildern und Ästhetiken. Dabei setze ich mich auch mit der christlichen Bildsprache auseinander, denn über viele Jahrhunderte gingen ja Kunst und Kirche Hand in Hand.

In der Ausstellung „Reformation?“ im Stadtmuseum sind Sie einer von neun Künstlern und Wissenschaftlern, die zum 500-jährigen Jubiläum der Reformation, angelehnt an die 95 Thesen Luthers, 95 Fragen an die Besucher formuliert haben. Haben Sie sich dafür beworben, obwohl sie nicht religiös sind?

Riepe: Nein, ich wurde gefragt. Es ging nicht um eine persönliche Haltung, sondern darum, welche Fragen wir uns heute stellen. Ich wurde gebeten, da eine Farbe, eine Position hineinzugeben.

Ihre Fragen fallen völlig aus dem Rahmen: Sie sprechen die Leute direkt an und fragen eher privat als religiös-gesellschaftspolitisch. Zum Beispiel: „Spürst du in dir eine Lust/Traurigkeit, die nie gestillt wird?“

Riepe (lacht schallend): Ich finde auch! Ich habe mir überlegt, welche Fragen in meiner Arbeit und auch in Gesprächen tiefer gehen und sie auch getestet. Es waren 40, zwölf wurden ausgesucht.

Ihre neue Produktion wendet sich eher an das Heidentum: „Carne Vale“. Geht es dabei um Menschenfresser oder um ein wildes Kostümfest?

Riepe: Es geht um den Karneval, aber nicht in seiner rheinischen Kultur. Ich war ja Anfang des Jahres mit dem Goethe-Institut für zwei Monate, auch während des Karnevals, in Brasilien. Der Körper- und Tanzkult dort mit seiner Vermischung der Ethnien und deren Kulturen war auch mein Recherche-Gegenstand. Einerseits hat der Karnevalskult etwas Ur-Menschliches, andererseits etwas sehr Kultiviertes. Er kommt dort vom Karneval in Venedig.

Wie das?

Riepe: Die weißen Kolonialherren haben dort Karneval gefeiert. Das haben die schwarzen Sklaven aufgegriffen und ihr eigenes ekstatisches Ding daraus gemacht. Diese Vermischung hat mich interessiert, auch das Kollektive und das staatlich verordnete Anarchische.

Jetzt kommen die Menschenfresser . . .

Riepe: Ja, schon. Andererseits bedeutet der Begriff im Lateinischen so viel wie „dem Fleisch entsagen“ und könnte auf die Fastenzeit hinweisen — also doch etwas Christliches — nach dem Motto: noch einmal in Saus und Braus leben. Gerade das Material Fleisch interessiert mich. In der heutigen Zeit steht es überall im Fokus, ob im künstlerischen, politischen, kriegerischen oder pornografischen Sinne.

Sie sind ja recht gefragt. Für April 2018 bereiten Sie die Uraufführung „Environment“ für das Ballett am Rhein vor. Wie kann es denn dazu?

Riepe: Martin Schläpfer und ich waren schon lange im Gespräch, u.a. darüber, wie die freie Szene und das Stadttheater voneinander profitieren können. Irgendwann fragte er mich, ob ich Lust hätte, etwas für sein Ensemble zu machen.

Eigentlich hatten Sie die Theaterbühne schon verlassen, waren in Museen vorgedrungen, in den öffentlichen Stadtraum samt einer gläsernen Box . . .

Riepe: Ja, aber ich habe jetzt auch wieder große Lust gehabt, auf die Bühne zu gehen. Ich liebe ja diesen Guckkasten mit all seinen technischen Möglichkeiten.

Gab es schon eine Kontaktaufnahme mit dem Ensemble?

Riepe: Ja. Ich habe mir Proben angesehen, mit allen Verantwortlichen geredet. Es ist ja ein Wahnsinnsapparat. Krass, wie er funktioniert. Schon in zwei Wochen habe ich Werkstatt-Abgabe für die Kostüm- und Bühnenbildentwürfe. Das kenne ich so nicht. Für „Environment“ bin ich schon weiter als für mein aktuelles Stück. Und es gibt da ja alle Gewerke: Perückenmacher, Schuster, Schneider . . . irre! Ich werde Haute Couture machen!

Wie sieht das Konzept sonst aus?

Riepe: In „Environment“ geht es um die Begegnung zweier Welten — freie Tanzszene und städtisches Ballett. Es geht auch um das schwebende Verhältnis der Genres und Materialien. Ich habe ja hier ganz andere technische Möglichkeiten und schöpfe sie bis zum Anschlag aus.

Wie werden Sie mit diesen Luxus-Leibern arbeiten?

Riepe: Mit diesen Luxus-Leibern in dieser Luxus-Situation führe ich meine Versuchsanordnung über den Menschen und seinen Körper fort. Aber erst muss ich Vertrauen herstellen und selber Vertrauen finden. Es ist eine tolle Chance.

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