Fotograf Peter Lindbergh: „Auf die Figur kommt’s nicht an“

Düsseldorf. Der Fotograf Peter Lindbergh über seine Idee von Schönheit, Idealbilder und freudlose Models.

Herr Lindbergh, in vielen Filmen ist der Fotograf meist ein zauseliger oder total überstylter Typ, der stereotyp sagt: „Oh Baby, toll, mach weiter so.“ Finden Sie sich darin wieder?

Lindbergh: Davor habe ich mich von Anfang an schwer gehütet. Wenn ich eine Frau mit „Hey Baby“ ansprechen würde, müsste ich mich nicht wundern, wenn die wieder nach Hause geht.

Wie stellen Sie die Nähe her, die für ein gutes Foto unerlässlich ist?

Lindbergh: Das hört sich kitschig an, ist aber ganz einfach: Ich bin ganz echt und ganz offen. Man denkt besser nicht über sich selber nach, auch nicht unbedingt über das Bild, was entstehen soll. Man redet nur vernünftige Sachen, damit einen der andere intelligent findet. Im Grunde ist es wie eine Kontaktanzeige. Wenn man sich dann in einem Restaurant trifft, weiß man auch nach zehn Sekunden, ob man einen Fehler gemacht hat.

Kommt das oft vor, oder schaffen Sie es immer, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen?

Lindbergh: Heute schon. Wenn man ein gewisses Alter, ein gewisses Selbstbewusstsein hat, und wenn man wie ich aus Duisburg kommt, dann fällt einem der normale Umgang leicht. Es bringt ja nichts, schlotternd vor Brad Pitt oder einem anderen berühmten Menschen zu stehen. Das ist auch für die Leute nicht angenehm.

Für einen der Filme, die Sie im NRW Forum zeigen, stand das Modell Hana sehr lange vor einem Spiegel, durch den hindurch Sie filmten. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?

Lindbergh: Die Idee habe ich von einem weiblichen Guru übernommen. Das müssen Sie mal versuchen, so lange Sie es aushalten. Da geht einem unglaublich viel durch den Kopf. Das ist sehr erleuchtend, aber das nimmt einen auch sehr mit.

Hat sich Ihre Idee von Schönheit im Laufe von vier Jahrzehnten als Fotograf geändert?

Lindbergh: Im Grunde nicht. Leute, die etwas zu sagen haben, sind auch schön. Da ist es auch egal, ob sie dick oder dünn sind. Wenn jemand nur eine gleichmäßige Form hat und nichts zu sagen hat, dann ist er auch nicht schön. Deswegen mag ich diese hochgezüchteten 45-Kilo-Mädchen nicht so gern — mit denen kann man nichts reden, schon weil sie erst 17 oder 18 sind.

Und was reden Sie mit den anderen?

Lindbergh: Das wird ganz schnell eine Beziehung, ich erlebe quasi jeden Tag eine Art Liebesgeschichte. Man gibt etwas, man kriegt etwas, die Leute blühen auf, und ich fühle mich auch gut. Die Modeindustrie hat heute aber offenbar weniger Interesse an persönlichen Porträts, sondern bevorzugt retuschierte Idealbilder.

Können Sie verhindern, dass Ihre Bilder retuschiert werden?

Lindbergh: Für Kosmetikanzeigen nicht. Ich kämpfe aber dafür, dass die Gesichter wenigstens ein klein bisschen anders aussehen als weiß gestrichene Wände. Aber das ist für die Branche auch schwer, die sind so eingeloggt in dieses Prinzip des Makellosen, dass sie so schnell da gar nicht rauskommen.

Die Kundinnen haben erstaunlicherweise ja auch nichts dagegen.

Lindberg: Das wird sich ändern. In England ist jetzt ein Foto einer Schauspielerin, das für eine Hautcremewerbung bis zur Unkenntlichkeit retuschiert war, verboten worden: Es war zu unrealistisch.

Inszenieren sich Männer wie Gerhard Schröder und Keith Richards vor der Kamera anders als Frauen?

Lindbergh: Nö. Es ist das gleiche Prinzip mit einem kleinen Unterschied. Es ist, als ob man sich im richtigen Leben im Restaurant trifft: Da kommen mit einem Mann auch andere Schwingungen auf als mit einer Frau.

Warum dürfen Models eigentlich nicht mal lachen, sondern müssen immer so freudlos gucken?

Lindbergh: Das ist bei meinen Arbeiten nicht immer so. Aber das Ernste ist immer interessanter, das Lachen ist nur ein Lachen.

Supermodels wie Linda Evangelista oder Naomi Campbell, die Sie berühmt gemacht haben, gibt es heute nicht mehr. Läuft wegen der vielen technischen Möglichkeiten die Zeit der Superfotografen ab?

Lindbergh: Ich glaube, dass die Fotografie sich zur Montage von Details entwickeln könnte. Die Herausforderung, die richtige Situation und den richtigen Moment für ein Foto zu finden, kann verschwinden.

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