Neu im Kino: „Anonymous“ - Ein Dichter wird erdacht

Roland Emmerich bringt das Leben des Dichters William Shakespeares als pralles Spektakel auf die Leinwand.

Seit Jahrhunderten tobt der Streit, ob der Schauspieler, Theaterbesitzer und Geschäftsmann William Shakespeare (1954 — 1616) tatsächlich der Autor von „Romeo und Julia“, „Hamlet“ und „Macbeth“ gewesen ist.

Wie kann, so fragen die Zweifler, ein ungebildetes Landei wie Shakespeare, der aus einer Familie von Analphabeten kam, nur eine rudimentäre Schulbildung erhielt und von dem bis auf sechs krakelige Unterschriften keine Schriftdokumente erhalten sind, diese genialen Stücke verfasst haben?

Seine Tragödien, Komödien und Dramen strotzen vor profunden Kenntnissen der Philosophie und Rechtsprechung, der höfischen Sitten und antiker wie moderner Geschichte. Mehr als 50 Personen wurden schon ermittelt, die der wahre Shakespeare gewesen sein sollen.

Als Favorit schälte sich Edward de Vere, 17. Earl of Oxford, heraus — ein hochgebildeter Mann und Theaterliebhaber, dessen adliger Stand es nicht zugelassen hätte, sich als niederer Stückeschreiber zu outen. Mit seinem Film „Anonymous“ reiht sich Roland Emmerich mit der geballten Macht eines Mainstream-Filmemachers bei den „Oxfordianern“ ein.

Der schwäbische Hollywood-Regisseur („2012“) will mit diesem Film Abschied nehmen von seinem Image als „Master of Desaster“. In den Babelsberger Filmstudios hat er das London des 16. Jahrhunderts auferstehen lassen und durch einige Historienpixeleien aufgepeppt.

Rhys Ifans spielt den älteren Earl of Oxford, der in jungen Jahren eine ebenso große Leidenschaft fürs Theater wie die junge Elisabeth (Joely Richardson) entwickelt. Sie muss die Affäre jedoch auf dem Weg zur königlichen Macht beenden. Rückblenden entschlüsseln häppchenweise das Intrigenspiel bei Hofe.

Jahrzehnte später feiern die Stücke des Earl in einem heruntergekommenen Theater Triumphe. Als das Publikum begeistert nach dem Autor des Stückes ruft, drängt sich der Schauspieler William Shakespeare auf die Bühne und wird fortan als Dichter gefeiert. Der Earl akzeptiert den windigen Mimen als Strohmann, der allerdings immer dreistere finanzielle Forderungen stellt.

Roland Emmerich hat mit „Anonymous“ einen veritablen Historienfilm gedreht, der sein literaturwissenschaftliches Thema unterhaltsam unter das Massenpublikum zu bringen versucht. Doch leider lässt er einen spielerischen und lustvollen Umgang mit den Stücken Shakespeares vermissen, die hier nur als Pop-Zitate ins Historienspektakel eingebaut werden.

Das surrt in typischer Emmerich-Manier als geradliniges, aber widerspruchsfreies Unterhaltungskino über die Leinwand. Shakespeare hätte vermutlich mehr daraus gemacht.

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