Drama: "Ein fliehendes Pferd" - Urlaubssexspiele statt fliehender Pferde

Regisseur Rainer Kaufmann macht aus der Walser-Novelle eine Beziehungsklamotte.

<strong>Düsseldorf. Ein Ehepaar, im Alltagstrott angekommen, fährt seit Jahren in das gleiche Kaff am Bodensee. Helmut Halm beobachtet Vögel im Schilf, während Sabine in der Ferienwohnung masturbiert, da im Bett zwischen den beiden nichts mehr läuft. Da erscheint unversehens ein ehemaliger Bekannter von Helmut: der Lebemann Klaus Buch mit seiner jungen Freundin Hel. Sabine und Helmut fühlen sich von den beiden angezogen. Die Grundgeschichte des Films "Ein fliehendes Pferd" klingt nach Drei-Groschen-Roman - wenn man die Buchvorlage nicht kennt. Martin Walsers Novelle, die er während des Deutschen Herbst 1977 schrieb, verhandelt den Drang, dem Leben gerecht zu werden, und sich den gesellschaftlichen Zwängen zu widersetzen. Diese existentialistischen Handlungsstränge werden im Film zugunsten der Pärchenproblematik größtenteils gekappt. Am deutlichsten wird das in der Schlüsselszene, in der Klaus sich auf ein fliehendes Pferd schwingt und Sabine verzückt haucht: "Er sieht ja aus wie König Artus!" Freiheitsanspruch wird auf erotische Mystik reduziert.

Bisweilen gelingt es Regisseur Rainer Kaufmann, an die Stelle von Walsers langen inneren Monologen überzeugende filmische Bilder zu setzen. Die erste, zeitlupenartige Szene zeigt Hel: blondes, unbändiges Haar auf entblößter Haut. Die Kamera ahmt den gierigen Blick von Helmut (Ulrich Noethen) nach. Da ertönt auch schon der altbekannte Ruf der Ehefrau aus dem Wasser: "Komm doch rein, es ist ganz warm!" Ein Augenrollen des Gatten - der Zauber ist gebrochen.

Auch der abgeschottete Mikrokosmos der Ferienwohnung mit ihrer typischen Fotowand aus Herbstwald ist treffend eingefangen. Die vermeintliche Urlaubsidylle spiegelt sich im Soundtrack aus dudeliger Frohsinn-unterm-Sonnenschirm-Musik wider, die auf Dauer genauso nervig ist, wie für Helmut der unumstößliche Optimismus seines Rivalen Klaus.

Kaufmanns Film bleibt im Vergleich zu Walsers Novelle oberflächlich und droht an manchen Stellen zur humorigen Beziehungsklamotte zu verkommen. Das für Goethe zur Novelle gehörende "unerhörte Ereignis" übrigens haben die Drehbuchautoren wörtlich genommen: Die bei Walser nur angedeutete Erotik zwischen Sabine und Klaus sowie Hel und Helmut schrieben sie zu anschaulichen Sexspielchen für die Leinwand um.

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