Colin Firth im Interview: Wie lerne ich bloß König?

Der britische Oscar-Kandidat Colin Firth über seine Rolle als stotternder Georg VI. und sein eigenes Lampenfieber.

Düsseldorf. Herr Firth, 2010 schrammten Sie für die Rolle als lebensmüder schwuler Professor in „A Single Man“ knapp am Oscar vorbei. Denken Sie, dass Sie die Trophäe nun endlich verdient haben?

Firth: Nun, dieser Film war kein Spaziergang. Wir haben alle alles gegeben! Aber deswegen muss man nicht denken, man hätte mehr als einen Kohlkopf verdient. Für harte Arbeit schuldet einem niemand was. Aber umso dankbarer war ich über den warmen Applaus, den wir bisher bekommen haben.

Was geht in der Seele eines Engländers vor, wenn er seinen König spielt?

Firth: Das war schon etwas verwirrend. Das Schwierigste aber war, keinen König zur Hand zu haben, der einem erzählen kann, wie das Leben eines Monarchen so ausschaut. Einen Arzt zu spielen ist eine wesentlich leichtere Aufgabe — selbst ein Astronaut lässt sich ja auftreiben. Aber ein König lässt sich natürlich nicht über die Schulter schauen. Also muss man sich Informationen aus zweiter Hand besorgen.

Was wussten Sie von George VI.?

Firth. Fast nichts. Meine Eltern waren während seiner Herrschaft Kinder. Meine Mutter hat ihn dafür bewundert, dass er sich mit der Entscheidung für den Thron so schwer tat. Und sie hat mir das mit dem Stottern erzählt — das war’s.

Man stutzt zunächst, dass das Thema Stottern einen ganzen Film tragen soll.

Firth: Weil es meist nur als komischer Effekt genutzt wird. Das ist das erste Mal, dass sich ein Film ernsthaft damit beschäftigt. Ich wollte den Schmerz zeigen, der hinter einem komisch wirkenden Sprachfehler steckt.

Wie haben Sie sich auf das königliche Handicap vorbereitet?

Firth: Meine Schwester, die Logopädin ist, übernahm den technischen Teil. Unser Drehbuchautor, der früher auch gestottert hat, vermittelte mir das Gefühl dafür: Die Angst vorm Stottern dominiert das Leben. Man vermeidet alle Worte mit Buchstaben, die das Stottern auslösen. Man behauptet, man mag kein Fisch oder Fleisch, nur weil das „F“ Probleme macht. Neue Aufgaben machen Angst, weil man grübelt, wie man die damit verbundenen Wörter über die Lippen bringt. Das Stottern raubt einen Teil der Identität, weil man sich nie adäquat mitteilt.

Kennen Sie selbst Angst vor öffentlichen Auftritten oder Lampenfieber?

Firth: Und wie! Beim letzten Theaterstück habe ich mich 15 Minuten vor dem Auftritt auf der Toilette eingeschlossen, ich brauchte Ruhe. Dann wollte ich noch mal an die frische Luft, ließ aber aus Versehen die Bühnentür ins Schloss fallen. Also musste ich um den Theaterbau ganz herumlaufen und mich im Foyer durchs wartende Publikum drängen — dabei hatte ich vor all diesen Menschen doch solche Angst! Zuletzt fiel mir nicht mal der Code für den Bühnenbereich ein. Als ich endlich drin war, musste ich sofort auf die Bühne. Ich habe mich auch vage an meinen Text erinnert. Aber es war furchtbar!

Wonach suchen Sie Ihre Rollen aus? Vom verklemmten Banker und Möchtegern-Vater im Filmmusical „Mamma Mia!“ bis zum König scheint ein weiter Schritt.

Firth: Ich möchte einfach vermeiden, dass ich mich langweile. „A Single Man“ von Tom Ford habe ich nicht gemacht, weil er ein kleines Projekt ist. Genau so wenig habe ich „Mamma Mia!“ gemacht, weil er riesig war. Und gerade bei dem Film habe ich jeden Tag gedacht, dass er meine Karriere ruinieren würde — nämlich jedes Mal, wenn ich singen oder tanzen musste. Pierce Brosnan und Stellan Skarsgård ging es genauso. Extrem genossen haben wir die Dreharbeiten aber trotzdem. Ich bin einfach froh, zwischen großen und kleinen Projekten hin- und herspringen zu können. Aber vielleicht ist morgen mit den großen Filmen ja schon Schluss, wer weiß?

Wo landen Sie, nachdem Sie in „Single Man“ und „The King’s Speech“ “ zweimal hintereinander über sich selbst hinausgewachsen sind?

Firth: Nach 23 Jahren im Filmgeschäft habe ich einfach zweimal ein exzellentes Blatt gezogen. Wahrscheinlich ist mein fortgeschrittenes Alter der Grund für so interessante Projekte. Um Menschen mit einer Vergangenheit spielen zu können, muss man eine Vergangenheit haben. Insofern hat der voranschreitende Verfall auch seine guten Seiten.

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