Biennale in Venedig: Das düstere Ende der Welt

Filmfestival: „The Road“, die Verfilmung des Romans von Cormac McCarthy, ist der erste Höhepunkt Venedigs.

Venedig. Der rote Bauzaun ummantelt das Festivalgelände. Der Lido zeigt sich in diesem Jahr ziemlich unglamourös. Alles wappnet sich hier für den großen Neubau, der 2011 eröffnet werden soll: ein unterirdischer Saal mit 2400 Plätzen. Doch noch muss der alte Palazzo herhalten, von dem es nur ein paar Schritte sind zum blauen Meer der Adria. Sonne, 30 Grad - da könnte der Kontrast zur Welt von "The Road" kaum größer sein.

John Hillcoat hat Cormac McCarthys postapokalyptischen Roman verfilmt und beschert dem Filmfestival gleich zu Beginn einen ersten, wenn auch höchst düsteren Höhepunkt. Viggo Mortensen spielt darin einen Vater, der mit seinem Sohn auf der Straße unterwegs ist. Das Ende der Welt ist grau, schmutzig und kalt. Die Sonne gibt es nicht mehr, zu Essen auch nichts, und Vater und Sohn versuchen zu überleben, auch wenn sie nicht genau wissen warum.

Hillcoat hält sich an McCarthys brillant-lakonische Vorlage und schafft dazu faszinierende Bilder einer toten Umwelt. Er konzentriert sich auf seine Figuren und auf ihren Überlebenstrieb. Dieser beeinhaltet auch, sich gegen andere zur Wehr zu setzen, die nicht davor zurückschrecken, Menschen zu essen.

Denn was macht den Menschen eigentlich aus, fragt der erschütternde Film, wenn alle Werte und Moral nichts mehr zählen? Viggo Mortensen ("Herr der Ringe") selbst sieht die Geschichte als "eine Liebesgeschichte" zwischen einem Mann und seinem Sohn, wie er in der Pressekonferenz sagt. Für diese Rolle erhält er sicherlich eine Oscarnominierung.

Die Familie als Keimzelle - auch allen Übels und aller Neurosen - das ist Todd Solondz großes Thema. Zehn Jahre nach seinem ultrabösen Episodendrama "Happiness" fragt er, was aus den drei Schwestern und der Familie des pädophilen Vaters geworden ist. Wieder seziert er gnadenlos genau die verzweifelte Suche nach Beziehung, Zugehörigkeit und Glück. Eine neue Besetzung sorgt dafür, dass "Life during Wartime" auch für sich steht, ohne den Bezug zum Vorgängerfilm.

Der Vater wird aus der Haft entlassen. Aber kann es ein Vergeben ohne ein Vergessen überhaupt geben? Vor allem der 13-jährige Timmy leidet darunter, Sohn eines Pädophilen zu sein und torpediert ungewollt die neue Beziehung seiner Mutter Trish (Allison Janney). Die sucht ebenso ein Stückchen Normalität wie ihre neurotische Schwester Joy (Shirley Henderson), immer noch das Nesthäkchen der Familie.

Der Geist ihres toten Liebhabers, der sie verfolgt, treibt sie jedoch fast in den Wahnsinn. Solondz räumt den Nebenschauplätzen zu viel Raum ein, statt einen Konflikt zuzuspitzen. Doch seine Dialoge sitzen auf den Punkt, so dass diese absurde und immer wieder überraschende Tragikomödie einen angenehmen Kontrapunkt zu Familiendramen des amerikanische Mainstreams bildet.

Der deutsche Regisseur Werner Herzog nimmt ebenfalls am Wettbewerb in Venedig teil, allerdings mit der amerikanischen Produktion "Bad Lieutenant: Port of Call New Orleans". Schon im Vorfeld ist viel Hohn und Spott über dieses Wagnis ausgeschüttet worden, ausgerechnet ein Remake von Abel Ferraras knallharter Vorlage drehen zu wollen - und das auch noch mit der Leidensmine eines Nicolas Cage in der Rolle von Harvey Keitel.

Das Kurzurteil: Er hätte es lieber lassen sollen. Weder hat Werner Herzog etwas Neues zu erzählen, noch kann er dem Vorgänger was Bildsprache und Atmospäre angeht das Wasser reichen.

Cage taumelt als rückenkranker und dadurch drogenabhängiger Cop durch einen Sumpf aus Korruption und Amtsmissbrauch. Am Ende bringen die Gangster sich alle gegenseitig um, der eigentlich gute Bad Lieutenant heiratet die schöne Hure (Eva Mendes) und wird sicher irgendwann so clean wie sein weißes Hemd.

Auch wenn der flaue Film eigentlich nicht für den Wettbewerb taugt, sorgen Cage und Mendes zumindest für etwas Glamour am roten Teppich, zu dem der rote Bauzaun am Lido wenigstens farblich passt.

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