"I'm still here" - Joaquin Phoenix' inszenierter Abstieg

Der US-Star Joaquin Phoenix wollte von Hollywood angeblich nichts mehr wissen — doch sein Aus- und Abstieg war inszeniert.

Berlin. Im Oktober 2008 verkündet der US-Schauspieler Joaquin Phoenix, er wolle künftig keine Filme mehr drehen, sondern zu sich selbst zurückfinden und Hip-Hop-Sänger werden. Verblüffung allenthalben, schließlich gehört er seit „Gladitor“ (Golden Globe- und Oscar-Nominierung) und dem Johnny Cash-Film „Walk the Line“ (Golden Globe als bester Hauptdarsteller, Oscar-Nominierung) zu den Gutverdienern Hollywoods.

Doch Phoenix meint es ernst. Fortan tritt er mit dunkler Sonnenbrille auf, lässt Haare und Bart wachsen. Glamour-Blätter wie „Gala“ wundern sich, wie zottelig der frühere Filmschönling aussieht. Legendär ist sein Besuch bei US-Talker David Lettermann. Erst lässt sich de Gast noch wortkarge Antworten entlocken, dann verstummt er. Der TV-Mann müht sich redlich, am Ende bleibt ihm nur der ironische Rausschmeißer: „Joaquin, tut mir leid, dass du heute Abend nicht hier sein konntest.“

Was will der Mann bloß? Das fragen sich viele. Auch eine Karriere als Musiker fördert man mit solchen Auftritten schließlich nicht sonderlich. Sein unterdrücktes Kichern bei Letterman verweist auf die Wahrheit hinter der Maskerade. Die Dokumentation, die der Schauspieler Casey Affleck — zugleich Joaquins Schwager — über den Aus- und Abstieg dreht, ist von vorn bis hinten inszeniert. Diese „Mockumentary“, die eben nicht ernst gemeinte Dokumentation, kommt jetzt in die deutschen Kinos: „I’m Still Here“.

Viel lässt sich in den Film hineinlesen. Zum Beispiel Kritik am ewig geschönten Geschäft Hollywoods, wo die Kameras auch abseits von Dreharbeiten ständig laufen und jeder immer gut aussehen muss. Phoenix ist das recht, im US-Fernsehen hat er erklärt, er untersuche in dem Film das Verhältnis zwischen „Medien, Konsumenten und Prominenten“.

Man kann trefflich spekulieren, ob er im Film tatsächlich sein wahres Ich zeigt — der Joaquin, der nach der Talk-Sendung heulend im Gebüsch hockt, auf Pornoseiten herumsurft und sich Koks reinzieht, der nie ohne Entourage sein kann.

Oder ist dieser immer dicker werdende, nicht immer appetitlich anzusehende Zottelschrat lediglich eine andere Facette der medialen Figur Joaquin Phoenix, die Selbst-Entblößung nur eine Authentizitäs-Floskel? Und macht das für unseren Blick auf ihn überhaupt etwas aus?

Es wird in jedem Fall ein Jahr der schonungslosen Grenzerfahrungen gewesen sein. Man sieht, wie seine Bühnenshows misslingen und das Publikum ihn ausbuht. Verzweifelt telefoniert er dem Hip-Hop-Guru P. Diddy hinterher, um ihn als Produzenten zu gewinnen. Als er einen Termin ergattert, erscheint Phoenix zu spät, ein anderes Mal ist der Musiker abgereist. Endlich treffen sie sich im Tonstudio. Doch der Schauspieler nuschelt so schaurig, dass ihn Diddy postwendend nach Hause schickt.

Man möchte Joaquin Phoenix wünschen, dass ihm diese Selbstbefragung genützt hat. Für die Zuschauer bietet „I’m Still Here“ einige Denkanstöße, aber letztlich keine befriedigende Antwort.

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