Elke Heidenreich wird 70 - Herzblut und klare Ansage

Elke Heidenreich ist populär, weil sie so glaubwürdig ist. Vielseitig und fleißig ist sie außerdem. Am Freitag wird sie 70 Jahre alt.

Köln. Ein Literaturkritiker hat Elke Heidenreich mal gefragt, was denn nur das Geheimnis ihrer Popularität sei. „Glaubwürdigkeit“, sagte die Kritikerkollegin daraufhin knapp und hatte wieder einmal recht.

Ihr größte Strahlkraft erreichte sie in der Sendung „Lesen!“, die sie von 2003 bis 2008 im ZDF moderierte. Das Ausrufezeichen hatte durchaus Befehlscharakter, denn Elke Heidenreich widmete sich dem mitgebrachten Bücherstapel mit schwärmerischem Elan und rasanter Redegeschwindigkeit. Ihre Gäste, die auch ein Buch empfehlen sollten und wollten, unterbrach sie hemmungslos. Aber ihre tiefe Liebe zu Büchern war nie zu überhören.

Die althergebrachte weihevolle Kritik wendete sich mit Schaudern und Häme ab. Doch das Publikum liebte Elke Heidenreich für ihr Herzblut und die klare Ansage. Und die Verlage erst recht. Denn sie konnte auch Werke lange verblichener Romanciers und russischer Lyrikerinnen in die Kamera halten und dazu sagen: „Leute, kaufen!“, und die Leute taten das. „Durch ihre Sendung wurden Bücher zum öffentlichen Gesprächsstoff“, erinnert sich der Verleger Helge Malchow von Kiepenheuer & Witsch.

Dass es die kleine Elke Helene mal zur einflussreichsten Literaturkritikerin Deutschlands bringen würde, hatte ihr keine Fee an der Wiege gesungen. Die Tochter eines Tankstellenbesitzers in Essen hat oft über ihre unfrohe, lieblose Kindheit gesprochen. Sie hat sich selbst daraus befreit, mit 15 Jahren ihr Elternhaus verlassen und später im Studium die Eigenschaften kultiviert, die sie bis heute ausmachen (und die den 68ern als Ideale vorschwebten): unerschrockener Umgang mit Autoritäten, lustvolle Neugier, Authentizität und Schlagfertigkeit — und Fleiß.

Denn weder die ulkige Metzgergattin Else Stratmann aus Wanne-Eickel, die sie Anfang der 80er Jahre bekannt machte, noch der „Lesen!“-Erfolg fielen vom Himmel. Elke Heidenreich hat sich das hart erarbeitet. Sie hat nicht nur gelesen, gelesen, gelesen. Sie hat Drehbücher, Erzählungen wie „Kolonien der Liebe“ und den Großerfolg „Nero Corleone“ geschrieben, Kindersendungen und Talkshows moderiert, Opernlibretti verfasst — immer unverwechselbar, bis ihre Kritiken für die Zuschauer vertrauenswürdig waren wie die hingeplauderten Lesetipps einer Freundin.

Die Kehrseite ihrer allzeit direkten Art ist ein Temperament, das schon mal mit ihr durchgeht. So geschehen 2008, als sie nach dem Eklat um Marcel Reich-Ranicki und dessen Ablehnung des Deutschen Fernsehpreises das Fernsehprogramm als „verblödet“ und die Sender-Oberen als „verknöcherte Bürokarrieristen“ beschimpfte. Fatalerweise ließ sie sich auch zu dem Satz hinreißen: „Von mir aus schmeißt mich jetzt raus.“ Das ZDF kam dieser Aufforderung umgehend nach.

Im Nachgang beteuerte Elke Heidenreich eine Zeit lang, der Rauswurf mache ihr nicht das Geringste aus, hat aber auch versucht, sich mit dem ZDF zu versöhnen. Der Sender wollte nicht. „Lesen!“ gab es noch eine Zeit lang im Internet, fand aber keine große Resonanz. Mittlerweile ist Heidenreich wieder regelmäßig auf dem Bildschirm präsent.

Im Schweizer Fernsehen hat sie einen festen Platz im Kritikerteam des monatlichen „Literaturclubs“, 3Sat strahlt die Sendung jeweils einige Tage später aus. Man müsste eigentlich mal nachsehen, ob das ZDF derzeit eine Literatursendung anbietet. Von einer Leidenschaft für Bücher hat man jedenfalls lange nichts gehört.

Elke Heidenreich wird am Freitag 70 Jahre alt. Dass ihr noch einer den Schneid abkauft, ist nicht abzusehen.

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