Ein Tongesicht mit Stupsnase

Im Rheinland entdecken Wissenschaftler Steinzeitzeugnisse.

Bonn/Merzenich. Der kleine Tonkopf hat einen kahlen Schädel, winzige Ohren, Stupsnase und Knopfaugen. Ehrfurcht gebietend ist hingegen das Alter des Figürchens, das Archäologen jetzt in einer Siedlung aus der Jungsteinzeit bei Merzenich (Kreis Düren) entdeckt haben. Das 5,5 Zentimeter hohe Tonköpfchen, Bruchstück einer größeren Menschendarstellung, sei bei der Ausgrabung einer Abfallgrube zutage gekommen, sagten Archäologen am Dienstag in Bonn. Mittels der Baumring-Datierung könne "der ganz außergewöhnliche Fund" auf die Zeit zwischen 5090 und 5050 vor Christus bestimmt werden, erklärte einer der Ausgräber. Das grau-schwärzliche Köpfchen ist wohl Fragment einer vielleicht 30 Zentimeter großen Kultfigur.

Während Gefäßscherben aus der Steinzeit-Epoche der "Bandkeramiker" den Alltag der Vorfahren sichtbar machten, "öffnet uns dieser Fund ein Fenster in die Gedankenwelt der ersten Bauern Mitteleuropas", erklärte der Fachwissenschaftler für Vorgeschichte am Rheinischen Landesmuseum Bonn, Ralf W. Schmitz: "Es ist eine absolute Rarität".

Das ebenfalls entdeckte Bruchstück eines kleinen Armes lege die Vermutung nah, dass die kompakt modellierte Tonfigur ursprünglich eine Opferschale gehalten habe. Möglicherweise sei sie in einem der 64 ausgegrabenen Häuser von Merzenich ("Eine der bedeutenderen Siedlungen der Jungsteinzeit im Rheinland.") als Schutz-Idol aufgestellt gewesen sei. Experte Schmitz spekuliert: "Es ist nicht ausgeschlossen, dass in dem Ton auch menschliche Knochenstückchen eingeschlossen sind." Geplante Durchleuchtungen mit dem CT und chemische Analysen sollen hier Klarheit bringen. Zwischen Ungarn und Ostfrankreich sind rund 100 vergleichbare jungsteinzeitliche Minifiguren gefunden worden, die nach dem wohl religiösen Gebrauch vermutlich absichtlich zerbrochen wurden.

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