Das wahre Leben ist die Utopie

Am Dienstag wird Regisseur Volker Schlöndorff 70 Jahre alt. Mit Deutschland hat er sich ausgesöhnt.

Berlin. Wenn der Oscar-Preisträger Volker Schlöndorff heute an Deutschland denkt, dann ist er "erleichtert, bei Tag und auch bei Nacht, denn es ist doch gut ausgegangen für uns". Schlöndorff, der am 31. März seinen 70. Geburtstag feiert, gehörte in den 60er und 70er Jahren zu den Nachwuchsfilmern in der Bundesrepublik, die gegen jeden übersteigerten Nationalismus Sturm liefen.

"Wir haben uns damals doch sehr schwergetan mit unserem Deutschsein, eben aufgrund unserer Vergangenheit, und erst mit der Wiedervereinigung und der Einheit Deutschlands konnte man wieder unverkrampfter mit dem Wort Deutschsein umgehen und nicht mehr nur die Bundesrepublik in ihrer Enge sehen", sagte Schlöndorff

"Ich freue mich heute, dass meine 17-jährige Tochter stolz ist, Deutsche zu sein und in ihrem Internat in England ununterbrochen für Deutschland kämpft gegen heftigste Vorurteile." Was ihn selbst betreffe, könne er sagen, "ich habe mich mit Deutschland ausgesöhnt, nicht nur aus Altersgründen".

Als Beispiel nennt der Filmregisseur seine persönliche Lebenssituation im 60. Jahr der Bundesrepublik: "Ich sitze jetzt hier in Babelsberg, wo in den 20er und 30er Jahren die Filme entstanden sind, weswegen ich Regisseur werden wollte. Über ein halbes Jahrhundert später lebe ich an diesem Ort - ohne Grenzen und Sperranlagen." Schlöndorff leitete nach der Wende einige Jahre das Filmstudio Babelsberg.

"Also Ruhestand am Griebnitzsee gibt es nicht", betont Schlöndorff kurz vor einem neuen Aufbruch in die USA. "Der Filmproduzent Günter Rohrbach ist 80, produzierte im vergangenen Jahr zwei Filme und hat schon wieder neue Plänem - so sehe ich mich auch. Es gibt so viel zu tun und spannende Stoffe, erst recht in großen Krisenzeiten."

Zum Beispiel sein "wohl letzter" Ausflug ins Theaterfach. In diesem Jahr inszeniert er Tolstois Drama "Und ein Licht leuchtet in der Finsternis", zunächst im Sommer auf Schloss Neuhardenberg in Brandenburg und dann im September auf Tolstois Landgut in Russland.

Darin spielt auch Angela Winkler, mit der Schlöndorff 1975 die Böll-Verfilmung "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" drehte. "In dem Tolstoi-Theaterstück geht es um einen Mann, der darunter leidet, dass es zu viele Arme und ein paar wenige ganz Reiche gibt, das kommt einem doch irgendwie bekannt vor."

Sein nächster "kleiner Kinofilm" ist eine Zusammenarbeit mit dem Berliner Schriftsteller Peter Schneider über einen Mittvierziger im öffentlichen Dienst, der sich überflüssig vorkommt und einen neuen Lebensinhalt findet in der Zuwendung zu einem elfjährigen Jungen mit Lernschwierigkeiten, so dass sich schließlich beide gegenseitig retten.

Noch nicht spruchreif ist die Verfilmung des Theaterstücks "Rock’n’Roll" von Tom Stoppard über eine Prager Underground-Rockband, deren Mitglieder 1976 verhaftet wurden und deren Prozess schließlich auch zur Charta 77 von Vaclav Havel mit ihrer Anklage der Menschenrechtsverletzungen führte.

Es ist das Lebensthema auch von Schlöndorff: Der unbedingte Zusammenhang von Kultur, Politik, Zivilcourage, Anpassung, Untertanengeist und sogenannten Außenseitern. Dies zeigte sich beim "Jungen Törless", seinem Debütfilm und für viele eines seiner besten Werke, bis zum "Unhold", eine seiner "Pleiten".

Ein Lebensthema war für den Regisseur immer auch die Frage nach dem "Warum" in der deutschen Vergangenheit mit ihren Nazi-Verbrechen - "Wie war das möglich?" Heute ehrt ihn die SPD, und auch die CDU wollte nicht nachstehen und widmete Schlönddorff eine Hommage in der Berliner Konrad-Adenauer-Stiftung, ihm, der einst Drehverbot bei einem CDU-Parteitag hatte, und auch Bundespräsident Köhler lobt ihn.

Schlöndorff sei heute "fast schon ein Klassiker", sagt Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU), "bei allen Macken, Ecken und Kanten, bei den vielen Irrungen und Wirrungen, die sein Leben begleitet haben, bei den vielen Widersprüchen, in die er uns und sich verwickelte, ist er heute ein ganz Großer des deutschen Films", zusammen mit Wim Wenders oder Werner Herzog, der bei einem "Klassentreffen" einmal meinte: "Es ist erstaunlich, dass es uns noch gibt."

Dabei überrascht Schlöndorff mit einer Mischung aus "undeutscher" ironischer Leichtigkeit und Nachdenklichkeit bei seinem Rückblick auf Triumphe und bittere Niederlagen, beruflich wie privat. Noch mehr bedeutete dem Regisseur die Goldene Palme in Cannes für "Die Blechtrommel" mit David Bennent.

Und wie ist die Lebensbilanz über das "wahre Leben" eines Filmemachers? "Vermutlich ist das ,wahre Leben’ die letzte uns verbliebene Utopie."

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