Das Überraschungsei der Auferstehung

Der österliche Kerngedanke ist so tröstlich wie unfassbar. Das aber war er schon zu allen Zeiten. Auch die Bibel erzählt davon.

Das Überraschungsei der Auferstehung
Foto: Sabine Leutenegger/Taizé

„Ich bin so am Leben, mir macht selbst Sterben keine Angst.“

Andreas Bourani („Sein“)

Düsseldorf. Gottesdienst in der katholischen Hauptschule St. Hedwig in Bonn-Auerberg. Vielleicht 350 Schüler von der 5. bis zur 10. Klasse sind versammelt, in der Mehrheit Muslime. Der katholische Pfarrer fragt, was das Ei wohl mit Ostern zu tun habe, dem Fest der Auferstehung Jesu. Youssef, muslimischer Sechstklässler, trägt seine Erklärung mit großem Ernst vor: Bei Jesu Geburt hätten drei Hühner im Stall gesessen. „Jedes legte ein Ei und dann kamen die drei Männer und schenkten Jesus die Eier.“

Man kann diese Antwort wissend belächeln. Man kann sie auch als kindlich-geniale Verdichtung von Weihnachten, dem Dreikönigsfest Epiphanias und Ostern lesen. Jesu Geburt, Jesu Sterben und das Ei-Symbol der Schöpfung und des neuen Lebens verweben zum zentralen Gedanken des Ostergeschehens: der Auferstehung. Im Markusevangelium sagt ein Engel in der Grabeshöhle zu den drei Frauen, die Jesu Leichnam salben wollen: „Er ist auferstanden, er ist nicht hier.“ Der Evangelist Lukas legt den Engeln noch die schöne Frage in den Mund: „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“

Was da wie genau passiert zwischen Grablegung und dem Eintreffen der Frauen, dazu schweigt die Bibel. Die Auferstehung ist das große Geheimnis des Glaubens der Christenheit, durch keinen belastbaren Augenzeugenbericht belegt. Insofern sind alle sprachlichen und künstlerisch-bildlichen Beschreibungen nur mal eher verlegene, mal theologisch-forsche, mal poetisch-ungefähre Annäherungen. Das Ei, das Frühlingsblühen, das Licht — alles, was uns Menschen die Angst vor dem Dunkel des Todes nehmen könnte, ist ein potenzielles Symbol auf der Suche nach Trost angesichts der Endlichkeit des menschlichen Lebens und der bangen Frage: Kommt da noch was?

Geht man nach dem, was die regelmäßigen Umfragen zu dem Thema ergeben, ist die Zahl derer, die noch glauben, dass da überhaupt irgendetwas kommt, rückläufig. Und sie sinkt noch mit zunehmendem Alter. So zeigten sich vor zwei Jahren bei einer repräsentativen Umfrage des evangelischen Magazins „Chrismon“ 49 Prozent der Menschen über 60 Jahre überzeugt, dass nach dem Tod eben nichts mehr kommt. Bei den Jüngeren (14 bis 29) waren es dagegen nur 33 Prozent. Laut dem Internetportal Statista gaben bei einer bundesweiten Umfrage im vergangenen Jahr 35 Prozent der Befragten an, sie glaubten an ein Leben nach dem Tod. 37 Prozent verneinten das und 26 Prozent waren sich nicht sicher.

Doch woher sollte die Sicherheit auch kommen — wenn nicht aus einem felsenfesten, nicht zweifelnden Glauben? Und so ungewiss und im wahrsten Sinne unfassbar der Gedanke der Auferstehung schon an sich ist, so vage sind oft auch die Formulierungen, wenn es darum geht, wie genau man sich das denn nun vorzustellen habe. Eine einfache Rückkehr in das alte Leben kann es jedenfalls nicht sein. Es muss eine Form der Verwandlung geben, das ist auch die christliche Überzeugung: „Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub“, ist eine gängige liturgische Formel bei jeder Beerdigung, begleitet vom dreifachen Erdwurf. Der Mensch, soll damit ausgedrückt werden, geht den Weg alles Irdischen, bettet sich ein in den Kreislauf von Werden und Vergehen.

Manchen Menschen genügt das schon als tröstlicher Gedanke: Teil zu werden eines biologischen Kreislaufs der Zersetzung hin zum Humus für ein neues Leben. Andere sprechen von der Hoffnung, in den Folgen des eigenen Wirkens und den Gedanken der Liebsten weiterzuleben. Peter Beier, 1996 verstorbener Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, mochte sich mit solchen Formen einer „Auferstehung light“ nicht zufriedengeben. Er formulierte seine Vorstellung einer wie auch immer gearteten leiblichen Auferstehung unzweideutig: „Die Nase meines Auferstehungsleibes wird die Nase von Peter Beier sein und die Stimme wird die Stimme von Peter Beier sein.“

Wann es so weit sein wird? Nach der Bibel am Ende der Zeit, wenn Jesus Christus wiederkommt und Gottes Gericht ansteht. „Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen“, heißt es in der Offenbarung des Johannes. Denn das ist der zweite tröstliche Gedanke, der im Glauben an die Auferstehung verborgen liegt: dass es einen Moment der Gerechtigkeit gibt für all die Geschundenen des irdischen Lebens.

Die Bibel findet aber nicht nur Worte für diese Urhoffnung der Menschheit. Sie ist auch der Ort für erste Geschichten vom Zweifel an der Auferstehung. Im Johannesevangelium gibt es die Erzählung von Thomas, der das Osterwunder im wörtlichen Sinn begreifen muss, ehe er es glauben kann: Er legt seine Finger in die Wundmale des auferstandenen Jesus.

Die vielleicht poetischste Umschreibung des so schwer fassbaren Auferstehungsgedankens und der damit einhergehenden Wandlung ist aber die Geschichte von den Emmaus-Jüngern. Lukas schildert die beiden auf dem Weg von Jerusalem nach Emmaus, als der Auferstandene sich zu ihnen gesellt. „Aber ihre Augen wurden gehalten, dass sie ihn nicht erkannten.“

Erst über die Auslegung der Bücher Mose und der Propheten vergegenwärtigen sie Jesus wieder — und als sie ihn schließlich beim Brotbrechen wirklich erkennen, entschwindet er auch schon vor ihren Augen. Was als Verbindung zu ihm bleibt, ist ihr brennendes Herz während der Beschäftigung mit den jüdischen Schriften — weil dieses brennende Herz für die Lehre Jesu steht, die alten Botschaften nicht nur zu lesen, sondern zum Leben zu erwecken. So wäre zumindest eine Lesart der Erzählung: Wo Gottes Wille gelebt wird, ist Jesus Christus wieder gegenwärtig. Das ist durch die Jahrtausende ohnehin die bleibende Frage an die biblischen Geschichten: welche Wahrheit sie meinen. Im Vorwort zu seinem Buch „König auf einem Esel“ schreibt der niederländische Theologe und Schriftsteller Nico ter Linden: „Als unser fünfjähriger Enkel die Geschichte von der Auferstehung Jesu aus dem Grab hörte, meinte er sofort: Das ist Unsinn! Er konnte nicht glauben, dass dies wirklich passiert sein sollte, und er hatte Recht. Gleichzeitig hatte er nicht Recht. Denn diese Geschichte erzählt keinen Unsinn, sondern eine Wahrheit über Jesus. Eine Geschichte braucht nicht wirklich passiert zu sein und erzählt doch etwas Wahres.“

Vielleicht könnte sich ter Lindens Enkel ja eher mit Youssefs Bonner Schulgottesdienst-Geschichte von den drei Hühnern im Stall zu Bethlehem und ihren drei Eiern für die drei Weisen aus dem Morgenland erwärmen. Ostereier sind schließlich in der Regel gut zu begreifen. Der Auferstehung bliebe dann vermutlich, um im Bild zu bleiben, immer noch die Rolle des österlichen Überraschungseis.

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