Reliquie Das Turiner Grabtuch: Ein Bildnis des Glaubens

Kein heiliger Gegenstand trotzt so sehr allen Untersuchungen wie das „Sacra Sindone“. Jetzt ist es wieder im Turiner Dom zu sehen.

Reliquie: Das Turiner Grabtuch: Ein Bildnis des Glaubens
Foto: dpa

Turin/London 13. Oktober 1988: In zwei zeitgleichen Pressekonferenzen im Britischen Museum und in Turin geben die Wissenschaftler unter der Leitung von Michael Tite und Kardinal Anastasio Ballestrero das Ergebnis der x-ten Untersuchung des 4,36 Meter langen und 1,10 Meter breiten Leinen-Tuchs bekannt: Das „Sacra Sidonie“, das „Turiner Grabtuch“, kann nicht das Leichentuch Jesu sein, weil es erst zwischen 1260 and 1390 gewebt wurde. Die katholische Kirche erkannte das Ergebnis an — und wie nach jeder vorherigen Untersuchung ging die Diskussion einfach weiter. Die Probe könne verunreinigt gewesen sein, hieß es.

Der Turiner Anwalt Secondo Pia (1855-1941) machte am 28. Mai 1898 das berühmte Foto, auf dem Jesus im Negativ sichtbar wurde.

Der Turiner Anwalt Secondo Pia (1855-1941) machte am 28. Mai 1898 das berühmte Foto, auf dem Jesus im Negativ sichtbar wurde.

Seit rund 100 Jahren wird das Fischgrät-Gewebe aus Leinen, das bis zum 24. Juni erstmals seit 2010 wieder öffentlich im Turiner Dom gezeigt wird und anschließend für die kommenden zehn Jahre unter Verschluss bleibt, immer wieder mit jeweils modernsten wissenschaftlichen Methoden der jeweiligen Zeit untersucht — letztlich ohne eindeutiges Ergebnis. Angebliche Blutspuren (demnach hatte Jesus die Blutgruppe AB, die allerdings erst 900 Jahre nach seiner Geburt entstand) erwiesen sich als Farbpigmente, angebliche Pflanzenpollen aus dem Nahen Osten als irgendwelche Pollen.

Die Herkunft des Grabtuchs ist ebenso ungeklärt wie die Frage, ob es sich überhaupt um ein Grabtuch handelt. Eine ebenso eindrucksvolle wie einseitige Wanderausstellung zur Echtheit des Grabtuchs, die der Malteser Hilfsdienst im Auftrag des Kölner Malteserordens seit einigen Jahren präsentiert, gipfelte in einer lebensgroßen Skulptur, die darstellen soll, wie der Gekreuzigte in dem Tuch gelegen haben soll.

Dagegen erklärte der britische Historiker Charles Freeman kaum weniger eindrucksvoll im vergangenen November, warum es sich bei dem „Sacra Sidone“ überhaupt nicht um ein Leichentuch mit menschlichen Abdrücken handele, sondern um ein Gemälde — das genau den Vorlieben des Mittelalters entspreche, da erst ab dieser Zeit der tote Christus mit reichlich Blut und Wunden dargestellt wurde.

Solche „Programmwechsel“ sind in der Kunst üblich: Bis zum 15. Jahrhundert stellten die Heiligen Drei Könige die drei Lebensalter des Menschen dar. Ab dem 15. Jahrhundert wurde einer der Könige schwarz — weil sie nun für die drei Weltteile standen. Und das Mittelalter fälschte Reliquien, was das Zeug hielt.

Allein 13 Kirchen rühmten sich im Laufe der Jahre, das von der Beschneidung Christi übrig gebliebene „sanctum Praeputium“ (die Vorhaut) zu besitzen; andere stellten Fläschen mit Muttermilch der Gottesmutter aus. In Prüm in der Eifel werden Reste der Sandalen Christi verehrt, in der römischen Kirche Santa Maria Maggiore fünf Bretter von der Krippe Jesu. Sogar die Knochen des Esels, auf dem Jesus am Palmsonntag in Jerusalem einritt, sollen erhalten sein (in Verona).

Charles Freeman geht davon aus, dass das Mittelalter nicht unbedingt eine Fälschung intendierte, sondern das bemalte Tuch als der Andacht dienliches Kunstwerk betrachteten — weshalb mutmaßlich der Heilige Karl Borromäus als großer Verehrer des Tuchs dem urspünglich nackten Jesus auf dem Grabtuch im 16. Jahrhundert einen (heute wieder verschwundenen) Lendenschurz aufmalen ließ.

Dies hätte sich Kardinal Borromäus als Erzbischof von Mailand wohl kaum getraut, wenn er das Bild für das echte Grabtuch Jesu gehalten hätte. Die katholische Kirche verehrt das Grabtuch bis heute bewusst nicht als Reliquie, sondern als Ikone, als ein Bild des Glaubens. Welche Beziehung das Tuch zum historischen Leben Jesu habe, so Papst Johannes-Paul II. 1998, sei aber keine Frage des Glaubens.

Zur Haltung der Kirche gibt es natürlich auch eine Verschwörungstheorie: Die Kirche sei mit der Fälschungs-Theorie der angeblichen Ikone deshalb sehr einverstanden, weil das Tuch in Wahrheit beweise, dass Jesus die Kreuzigung überlebt habe und von seinen Jüngern gerettet wurde. . .

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