Wenn Mörder Theater spielen

Premiere: Mit der Oper „Aus einem Totenhaus“ hat die Rheinoper den fünfteiligen Janácek-Zyklus beeindruckend vollendet.

Düsseldorf. Eine Musik, die bei ihrer Entstehung (1928) stürmisch in die Moderne drängt. Die sich zugleich volkstümlich und sehr komplex, motivisch kleinteilig und langbögig in den Kantilenen, zart lyrisch und düster dramatisch, traurig und toll, liebevoll und heftig drohend darbietet. Denn "Aus einem Totenhaus", die fünfte und letzte Oper von Leos Janácek (1854-1928), beruht auf dem Grauen, das Dostojewskijs "Aufzeichnungen aus einem Totenhaus" prägt. Der Ort ist ein Straflager in Sibirien; die Personen sind meist Mörder.

Stein Winge (Regie) und Herbert Murauer (Bühne) haben für die Ereignisse im Lager- und im Seelenleben der Sträflinge eingängige Bilder gefunden. In einem rundum geschlossenen Betonbunker sind sie eingepfercht in einsehbare, vergitterte, neon-erleuchtete Plexiglas-Container. Freiheitssehnsucht und Überlebenskampf schüren Aggressionen schon beim Essen-Fassen. Erdrückend die Allgegenwart ihrer schwarz uniformierten Bewacher. So wird der alte Adlige Gorjantschikow (anrührend: Ludwig Grabmeier), kaum eingetroffen, zu 100 brutalen Schlägen abgeschleppt.

Es ist eine Oper ohne Erzählstrang. Doch von Solisten, Chor und Statisten darstellerisch und sängerisch so dicht dargeboten wie hier, entwickelt sich eine furiose Stringenz und Spannung. Dafür sorgen die Schilderungen von Luka alias Filka (bewegend: Alfons Eberz), Skuratow (schön herb ungeschlacht: Jan Vacik) und seiner gescheiterten Liebe zu Luisa, von Schapkin (zynisch: Bruce Rankin) und Schischkow (hochdramatisch: Oleg Bryjak).

Zum kobolzenden Knüller gerät der Lager-"Feiertag", an dem die Mordbuben Theater spielen dürfen. Erst schleppen die Sträflinge klapprige Holzpodeste, löchrige rote Läufer und Lappen als Theatervorhang herbei - fertig ist das Festspielhaus. Zwei Stücke gibt’s zu aller Gaudi: "Kedrill und Don Juan" und die Pantomime von der schönen Müllerin. Darin geht es um das Abwesende: So werden aus Häftlingen alerte Models oder skurril drapierte Frauen, die juchzend die Beine breitmachen. Eine derbe Stegreifkomödie der besten Art, der man nämlich nie anmerkt, wie perfekt sie einstudiert ist.

Im 3. Akt sind wir im Lazarett, eine nicht glaubhaft umgesetzte Szene. Plötzlich liegen alle in, auf oder neben sauberen, modernen Krankenhausbetten, natürlich auch der verletzte Aljeja (mit traumhaft lyrischem Spieltenor: Michael Pflumm). Ein Arzt in frischem weißem Kittel hält die Visite. Doch Oleg Bryjaks große Partie tröstet: Das musikdramatische Kleinod seiner immens expressiven Darbietung der Tragödie um Schischkows angetraute Akulina, die er tötete, und um Filka, den sie liebte, entschädigt vollauf. Da nimmt man auch die etwas alberne Choreografie um die Sehnsuchts-Gestalt des (Papp-)Adlers als Freiheitssymbol in Kauf, der alle huldigen, wenn sie am Boden liegend mit den Armen rudern.

Bis auf wenige Stellen lassen die Düsseldorfer Symphoniker unter John Fiore keine Wünsche offen. Es zahlt sich aus, intensiv hineinzuhören in diese von der Harfe bis zu Trompeten, Kontrabässen, Trommeln und Pauke rhythmisch extreme Partitur. Das Publikum dankte mit starkem Applaus wohl auch dafür, dass bei Janácek nie die Mächte der Finsternis obsiegen: Auch der Schurke hatte eine Mutter.

1 ½ Std. o. P., Auff.: 16., 21., 24., 27., 30. Mai, Karten-Tel. 0211/8925211

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