Wenn Jugendliche sich alles schön reden

Temporeich: „Dream Team“ von Lutz Hübner am Schauspiel Essen uraufgeführt.

Essen. Die Illusion ist eines der wichtigsten Schmiermittel unserer psychischen Existenz. Wahrscheinlich würden wir die Zumutungen der Realität gar nicht aushalten, ohne uns immer wieder unsere Erinnerungen zurechtzubiegen und unsere Fähigkeiten optimistisch schönzureden. Tom und Bruno, die beiden 20-jährigen Protagonisten in Lutz Hübners neuem Stück "Dream Team", das jetzt am Essener Schauspiel uraufgeführte wurde, sind wahre Meister darin.

Das Unheil beginnt mit einem I-Phone, das der Tochter von Herrn Schmitz, Toms Arbeitgeber, gehört. Tom hat damit gespielt und es "aus Versehen" eingesteckt, weil er fürchtete, als Dieb dazustehen. "Selffulfilling prophecy" nennt man das. Nun entwickelt er mit seinem Freund Bruno einen Plan, wie sie das Corpus delicti zurückgeben können.

Die Idee mit dem türkischen Erpresser ist allerdings so hanebüchen, dass Herr Schmitz ihnen schnell auf die Schliche kommt. Die Situation eskaliert in Gewalt und einer Geiselnahme, und jede Entscheidung, die die beiden Jungs treffen, macht alles nur noch schlimmer. Ein Dream Team eben.

Es geht um Realitätsverlust und Eskapismus, aber auch um die Chancen in einer Gesellschaft. Oder wie Herr Schmitz es formuliert: "Euch braucht hier niemand. Die Jobs, für die ihr genau richtig seid, gibt es nicht mehr. Ihr seid überflüssig." Hübners Stück ist komisch, ohne seine Figuren zu denunzieren.

Es ist tragisch, ohne eine Katastrophe aufzutürmen. Und all dies mit einer dramaturgischen und psychologischen Genauigkeit, die einmal mehr die Ausnahmestellung des 44-jährigen Dramatikers bestätigt und auf die sich jeder Regisseur blind verlassen kann.

Genau das tut Katja Lauke in der Casa in Essen. Im Podestbühnenbild von Katherine von Hellermann mit Kühlschrank, Fernseher und Türen, das sich nach und nach in lauter kleine Einsamkeitsinseln auflöst, inszeniert die Regisseurin ein temporeiches Spiel. Mit großem psychologischem Feinsinn arbeitet sie die sich ständig verschiebende seelische Balance zwischen Bruno, Tom und Herrn Schmitz heraus.

Raiko Küster versieht die Figur des Tom mit einer blinden Selbstsicherheit, die an Hochstapelei grenzt, aber nur seine Verunsicherung verdeckt. Wie in kommunizierenden Röhren schwingt sich Bruno (Lukas Graser) dagegen von kindlich-neurotischer Gewalttätigkeit zu immer realitätsgesättigteren Erkenntnissen auf. Und Christoph Fingers Schmitz-Figur paart Gutmütigkeit mit hartem Realitätssinn, die ihn in eine fast (lebens-)müde Erschöpfung treiben.

Dass "Dream Team" nur ein Stück über Jugendliche sei, ist allerdings eine vergebliche Hoffnung. Die Bankenkrise hat uns gelehrt hat, dass auch Manager vor Selbstüberschätzung nicht gefeit sind - nur endet das dann in einer Weltwirtschaftkrise.

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