Traum von Freiheit und Liebe

Michael Talke bringt in Düsseldorf Schillers „Don Karlos“ auf die Bühne und präsentiert ein starkes Ensemble.

Düsseldorf. Es endet wie es begann: Don Karlos erwacht aus einem Traum. Ein Königssohn mit Idealen, der brennt für Freiheit und die große Liebe. Der dem Vater trotzt, um gegen Unterdrückung zu kämpfen. Der seinen Rang als Thronfolger verspielt, um Elisabeth - des Königs zweite Frau - zu lieben.

Der dem Freund misstraut, weil dieser sich mit seinem Vater, dem Herrscher von Spanien, verbündet. Und am Schluss: Wie ein Kind zieht sich Karlos die Decke bis an die Ohren. Er kauert am Bühnenrand, nah am Publikum. Erwacht aus diesem erlebten Traum. Befreit vom Druck, sein Leben für mehr als das eigene Glück geben zu müssen.

Mehr als drei Stunden liegen zwischen dieser Szene, mit der Regisseur Michael Talke seinen "Don Karlos" im Düsseldorfer Schauspielhaus einrahmt. Er spielt sie durch, Schillers Ideen zu Herrschaft und Moral, zu Freiheit, Liebe und Menschlichkeit. Und er zeigt einen jungen Mann, der nach vorne stürmt, wenn die Liebe ihn ruft, der in die Hocke sinkt, wenn die Verantwortung auf seinen Schultern lastet.

Daniel Graf legt ein beeindruckendes Tempo vor, mit dem er diese jugendliche Leidenschaft verkörpert. Er spricht schnell, wechselt von einem Fuß auf den anderen, wirft sich in die Brust, um sich im nächsten Augenblick am Boden zu krümmen. Dieser Karlos berührt ohne sich anzubiedern.

Talke stellt ihm einen starken Gegenspieler zur Seite. Schon in den "Buddenbrooks" hat Markus Scheumann unter ihm in Düsseldorf großartig gespielt. Jetzt verkörpert er den Marquis von Posa. Der kühle Kopf neben dem heißblütigen Karlos. Zögernd nähert sich dieser Posa der Macht.

Mit perfektem Gespür für den richtigen Moment rückt Scheumann in die Nähe des Königs (Götz Schulte). Posa übernimmt Gesten, übt sich im Herrschen. "Geben Sie Gedankenfreiheit Sire", sagt er. Es scheint, als klänge der Ton des Gesagten in seinem Ohr so gut, dass der Inhalt etwas an Gewicht verliert.

Immer wieder gibt es Sekunden der Stille, es sprechen Körper und Blicke für sich. In anderen Szenen lässt Talke Sätze wiederholen, verschafft ihnen mehr Raum, um zu wirken. "Mein Herz soll stets der Richter meiner Liebe sein", dies bekennen Königin Elisabeth (Claudia Hübbecker) und Karlos gleichermaßen.

Reden die Protagonisten über eine andere Person, ist diese oft schon zu sehen. So sitzt die Königin umringt von Orangen - ein schönes Bild, das auf den Spielort Spanien verweist - und hört Karlos und Posa nicht. Erst einen Moment später steigt sie ein in das Geschehen.

Die Bühne (Hugo Gretler) bietet der Inszenierung spannungsvolle Wechsel. Wände und Boden sind mit sandfarbenem Stoff bezogen. Die Rückwand verschiebt sich, mal ist sie weit vorn, beengt die Menschen wie in einer Gummizelle. Ein anderes Mal rückt die Palastmauer zurück, schafft große Distanz am Hofe zu Spanien.

Talke setzt auf Bewegung. Türen werden geschlagen, hinter von rechts und links eingeschobenen Zwischenwänden erahnt man Lauscher. Nie gerät die Inszenierung in Gefahr zu erstarren.

Das Gesicht des Königs ist einige Male als Videoprojektion zu sehen. Es zeigt den Staat ohne jede menschliche Regung. Philipp selbst ist ein Mann, der getrieben ist von seiner Angst vor Verrat und Betrug.

"Dieses Amt will einen Mann", erklärt er seinem Sohn. "Dieses Amt will einen Menschen", erwidert Karlos. Eine Erkenntnis, die den erlebten Traum überdauert.

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