„Schwanensee“ modernisiert in Mainz

Mainz (dpa) - Es ist eine dieser zutiefst unglücklichen Liebesgeschichten: Deine Schwester wird den Mann heiraten, an den Du Dein Herz verloren hast. Mit der geballten Gefühlswelt der am Boden zerstörten Odette holt der Chefchoreograph des Mainzer Balletts, Pascal Touzeau, den Klassiker „Schwanensee“ in die Jetzt-Zeit.

Nach 30 Jahren ist das Stück zur Musik von Pjotr Tschaikowsky erstmals wieder auf der Bühne des Staatstheaters zu sehen. Das Premierenpublikum bedankt sich am Samstag mit kräftigem Applaus für einen Abend voller Überraschungen.

Es gibt keine Schwäne und keinen See; die Tutus dürfen auch schwarz sein, sie werden von Tänzerinnen und Tänzern gleichermaßen getragen. „Ich wollte keinen klassischen Schwanensee machen, nicht die Klischees bedienen, sondern etwas ganz Eigenes kreieren, eine neue Story erzählen“, sagt Touzeau über sein Stück. „Statt der Prinzessin und dem Prinzen aus dem Märchen sollte meine Version Menschen von heute zeigen.“

Im Mittelpunkt steht die tief enttäuschte Odette, innig getanzt von Anne Jung, die wie ein Geisterwesen auf einem Fest auftaucht, bei dem ihre Schwester Odile (Yolanda Martin) und deren Verlobter Siegfried (Christian Bauch) mit Freunden tanzen. Jede Annäherung an den heimlich Geliebten wird zurückgewiesen. Odette flüchtet sich in eine Traumwelt, in der sie ihre Leidenschaft mit Siegfried - als Schwanenfigur - ausleben kann.

„Die Menschen sehnen sich nach Gefühlen - und die kann Schwanensee hervorrufen. Allein schon durch die Musik“, sagt Touzeau. Odette allerdings zerbricht an ihrer Liebe: Als sie bei einem weiteren Fest das Brautkleid ihrer Schwester erblickt, verliert sie den Verstand, raubt das Kleid und flieht endgültig in ihre Fantasiewelt.

Samtrote Kleider mit raffiniertem Schnitt, hinten geknöpfte, weiße Hemden zu einer engen roten Hose, ein graues Kleid mit breiter Schleife: Mit ihren Kostümen macht die Compagnie die Bühne zum Laufsteg. Kein Wunder - die Verantwortliche für Bühne und Kostüme, Sofia Crociani, hat schon für Christian Dior und Karl Lagerfeld gearbeitet.

Die Große Bühne des Staatstheaters bekommt durch die Videoprojektionen von Gilles Papain in vielen Szenen eine zusätzliche Dimension. Etwa, wenn die unglückliche Odette sich verzweifelt an den Wänden entlangdrückt, auf denen überlebensgroße Porträts von ihr und Siegfried zu sehen sind.

Ausdruck verleiht Touzeau diesem Gefühlschaos auch durch einen Stil, der den klassischen Tanz vermengt mit rap-artigen Bewegungen und ungewöhnlich viel Freiheiten für seine Protagonistin. Die nutzt diesen Raum auf der Bühne, sie wandelt und leidet, glänzt und zerbricht, zieht das gestohlene Brautkleid durch den Zuschauerraum und scheint zwischenzeitlich komplett im weißen Stoff zu ertrinken.

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