Premiere: Blutiges Fazit einer Generation

Karin Henkel inszeniert im Großen Haus „Der Fall der Götter“ und erinnert an „Macbeth“. Doch ihre Tragödie trifft nicht.

Düsseldorf. Das Blut spritzt um seine Gummistiefel. Martin durchpflügt den Boden, auf dem sich die Geschichte seiner Familie abspielt. Rote Flecken breiten sich auf dem weißen Anzug aus. Er ist der letzte Überlebende der von Essenbecks - einer Industriellendynastie aus dem Ruhrgebiet.

Und Martin erzählt an diesem Abend, wie es sich zutrug mit dem Fall seiner Familie. "Nicht geboren zu sein geht über alles." Dieses Fazit zieht er heute, bevor der Untergang der von Essenbecks mit dem 70.Geburtstag seines Großvaters, des Patriarchen Joachim am 27. Februar 1933 seinen Lauf nimmt.

Regisseurin Karin Henkel lässt die Festgesellschaft im Düsseldorfer Schauspielhaus an einem Tisch Platz nehmen, den sie in blutrot gefärbtes Wasser gestellt hat (Bühne: Henrike Engel). Diese Symbolik ist so überbordend, dass die Zuschauer in den ersten Reihen unter ihren Plastikcapes abtauchen.

Wer sich an "Macbeth" erinnert fühlt, liegt richtig. Viscontis Film "Die Verdammten" liefert die Vorlage für die erste Inszenierung der neuen Spielzeit. Und wie bei Shakespeare folgt auch diese Tragödie der Forderung "Blut will Blut".

An die großartige Leistung ihres Regisseur-Kollegen Jürgen Gosch an selber Stelle kann Henkel nicht anschließen. Die mit einem ersten Mord ausgelöste Welle von Macht, Gier und Schrecken lässt einen unberührt. Was 1967 beim Start des Visconti-Films mit Hitlergruß und Hakenkreuz noch empfindlich traf, hat in dieser Form seine schmerzende Kraft eingebüßt. Trotz der regionalen Bezüge, die man bei Henkel nur ahnen kann: Die Verstrickungen deutscher Stahlbau-Unternehmer mit den Nazis liegen ja geradezu vor der Haustür.

Martin (herausragend: Heiko Raulin) trägt eine Maske. Sie entstellt ihn wie ein Brandopfer, wenn er von damals erzählt. Es gibt ihn ein zweites Mal: Ein schöner, junger Mann (Nadine Geyersbach), den der Druck zwischen den Lenden quält und der sich an kleinen Mädchen vergreift. Mit roter Farbe schreibt Martin die Namen seiner Verwandten an eine weiße Wand. Das hilft beim Verstehen, denn hier greifen verschiedene Hände nach der Herrschaft. Allen voran Sophie von Essenbeck (Juliane Köhler), Martins Mutter und Schwiegertochter des Patriarchen. Wie Lady Macbeth stiftet sie ihren Geliebten, den Angestellten Friedrich Bruckmann (Bernd Grawert), an, sich mit dem Mord an Joachim seinen Platz im Stahlwerk zu sichern.

Dem Patriarchen reißt es wortwörtlich den Kopf ab. Das geht, weil er eine Puppe ist - ein gutes und drastisches Bild. Der Tote treibt die restliche Zeit im Blut umher. Auch die Nazis sind keine Menschen: gleiche Körper, gleiche Gesichter. Diese Ideen funktionieren, so lange sie durchgehalten werden. Warum Martin, der Erzähler, plötzlich seine Maske abnimmt, versteht man ebenso wenig wie das ständige An- und Ablegen der Mikrofone oder die zweimalige Videoprojektion von Sophie per Kamera an die Bühnenrückwand. Das stört die ansonsten überzeugend spielenden Darsteller, und als theatrales Mittel verwendet Henkel es nicht konsequent genug. Beifall gab es für die Schauspieler, Buh-Rufe für Regisseurin und Team. 2 St. 45 Minuten mit Pause, Auff.: 23., 26. September, 7., 17., 22., Oktober, jeweils 19.30 Uhr. Karten: Tel. 0211/369911.

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