Premiere: Attacken im Dreivierteltakt

Zum Auftakt des Internationalen Tanzfestes zeigte Pina Bausch ihr Stück „Kontakthof“ mit „Teenagern ab 14“.

Wuppertal. Genau 30 Jahre ist es her, dass Pina Bausch zum ersten Mal ihren "Kontakthof" in Wuppertal zeigte. Nun feierte das Tanztheater-Stück erneut Premiere. Allerdings in einer neuen Fassung: "mit Teenagern ab 14".

Mit dieser ungewöhnlichen Erstaufführung startete am Wochenende das von Pina Bausch geleitete Internationale Tanzfest. Es bietet während der kommenden drei Wochen über 50 Aufführungen in Wuppertal, Essen und Düsseldorf.

Mehr als 40 Schüler aus elf Wuppertaler Schulen haben seit rund einem Jahr das Stück mit den beiden Tänzerinnen Bénedicte Billiet und Jo Ann Endicott einstudiert, ihre Wochenenden geopfert, um wie die "Großen" auf der Bühne zu stehen.

Das Ergebnis ist frappierend: Nicht nur die Eltern und Lehrer waren bei der Erstaufführung erstaunt, wie engagiert, diszipliniert und selbstbewusst die 14- bis 18-Jährigen bei der Sache sind.

In dem altmodischen Ballsaal (Bühne: Rolf Borzik) treffen sich zu Schlagern der 20er und 30er Jahre 13 Tanzpaare. Die Jungen sehen in den schwarzen Anzügen etwas nach Konfirmation aus, die Mädchen (fast alle langhaarig) mit hohen Schuhen, edlen Kleidern (Marion Cito nach dem Entwurf von Rolf Borzik) und knallrot geschminkten Mündern nach Castingshow. Mitten rein geht es in Bauschs Geschlechterkampf: Attacken im Dreivierteltakt. Die Zärtlichkeiten der Jungen werden zunehmend grober, ein Streicheln wandelt sich zum Kneifen und Zupfen.

Die Mädchen wehren sich verbal: "Du bist nichts, Du hast nichts, Du kannst nichts" malträtiert eine ihren am Boden liegenden Tanzpartner. Das gehauchte bis gekreischte "Liebling" eines Mädchens wird so lange wiederholt, bis es wie ein chinesisches Schimpfwort klingt.

"Hand, cheek, stomach, knee": Mit Worten wie Schläge gehen die Mädchen und Jungen gruppenweise gegeneinander an. Doch die Solidarität hält nicht lange an: Immer wieder fällt einer aus der Gruppe um oder eine andere lacht wie irre, ohne dass sich irgendjemand darum kümmern würde. Das Publikum würdigt die mutige Leistung der Jugendlichen mit häufigem Szenenapplaus.

Bereits im Jahr 2000 hatte Pina Bausch "Kontakthof" neu einstudiert. Damals durften "Damen und Herren ab 65" in die Rollen der berühmten Compagnie schlüpfen. Das Stück bietet sich an, von Laien gespielt zu werden: Es gibt wenige Tanz-, dafür viele Ensemble-Spielszenen.

Die "Alten" feierten mit dem Stück große Erfolge und wurden zu Gastspielen auf der ganzen Welt eingeladen. Kein Wunder, ergaben sich doch zwischen den neckisch-aggressiven Spielchen der Tanzpaare und dem Alter der Darsteller reizvolle Kontraste. Die Senioren gaben dem Stück eine neue Dimension, spiegelte sich doch in jeder Szene auch ein bisschen die gelebte Erfahrung langjähriger Beziehungen.

Das lässt sich bei den Schülern nun nicht gerade sagen. Die kindlichen Neckereien wirken hier ungebrochen, die Naivität und Unschuld natürlich. Die Lebenserfahrung, die es bräuchte, um den Szenen Tiefe zu verleihen, fehlt. Das erotisch oder lasziv gehauchte Aua eines Mädchens befremdet etwas. Dafür wirken die Schüler überaus authentisch und vital. Etwa wenn sie sich in einer Reihe vor das Publikum setzen und Einblicke in ihren Liebeskosmos geben: Wenn die Mutter einen nach einem Date abholt, ist das "voll peinlich", wenn jede SMS mit hdl ("hab dich lieb") endet, "total unpersönlich".

Das Experiment "Kontakthof" ist wieder einmal geglückt. Es zeigt, wie zeit- und alterslos Pina Bauschs Stück von 1978 ist und welche Qualität es besitzt. Alle drei Fassungen muss man zusammen sehen als eine Art Lebenswerk, das einen großen Bogen schlägt. Die Meisterin selbst schien Freitag Abend hochzufrieden und bedankte sich bei ihren jungen Darstellern jeweils mit Rose und Küsschen.

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