Jürgen Gosch: Ein später Radikaler

Der Theaterregisseur Jürgen Gosch ist tot. Seine Stärke lag in der konsequenten Rückbesinnung auf die Schauspieler.

Düsseldorf. Bis zuletzt hat Jürgen Gosch noch an seiner Inszenierung der „Bakchen“ des Euripides in einer Neufassung von Roland Schimmelpfennig gearbeitet. In der Nacht zum Donnerstag erlag er nun im Alter von 65 Jahren in seiner Berliner Wohnung seiner schweren Krebserkrankung. Dass Jürgen Gosch krank war, wusste man seit langem. Immer wieder musste er Inszenierungen wie „Faust I und II“ für das Wiener Burgtheater absagen. Nichtsdestotrotz rang er sich bis zuletzt Inszenierungen ab, die in ihrer Leichtigkeit und Spielfreude der Hinfälligkeit des eigenen Körpers Hohn zu sprechen schienen. So bei Tschechows „Die Möwe“ und Schimmelpfennigs „Hier und Jetzt“, die beide zum diesjährigen Berliner Theatertreffen eingeladen waren und erneut die Ausnahmestellung Goschs in der hiesigen Theaterlandschaft bewiesen.

Außergewöhnlich machte seine Inszenierungen, dass er sich auf die Grundlagen des Theaters besann und den Schauspieler wieder ins Zentrum stellte. Keine ausgefeilten Konzepte, keine Bühnentricks, mit jedem Stück startete Gosch mit seinem Ensemble quasi bei Null zur Expedition in die Seelenwelten eines Tschechow, Schimmelpfennig oder Shakespeare. Daraus resultierte eine Intensität des Spiels und eine Radikalität der Darstellung, die über die Grenzen des Theaters hinaus etwas vom homo ludens als einer Grundmetapher des Daseins wussten.

Angefangen hat Gosch nach seinem Studium an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ zunächst in Parchim und ging später an die Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Als seine Inszenierung von Büchners „Leonce und Lena“ 1978 verboten wurde, übersiedelte der gebürtige Chemnitzer nach Westdeutschland. Nach Arbeiten in Hannover, Köln und Hamburg übernahm er 1989 die Leitung der Berliner Schaubühne, wo er jedoch schon beim Start mit „Macbeth“ scheiterte. Sein damals humorlos exerzitienhaftes Theater schien in Zeiten der Postmoderne überholt.

Jürgen Gosch suchte lange nach einem Neuanfang, und dass ausgerechnet das Düsseldorfer Schauspielhaus zur Plattform seines neuen Triumphes wurde, war umso beglückender. Hier inszenierte er 2004 Gorkis „Sommergäste“ als so grandiose wie komische Vergeblichkeitsetüde menschlichen Glückstrebens. Für einen Skandal sorgte seine Interpretation von Shakespeares „Macbeth“, den er von nackten Männern unter Einsatz von viel Blut- und Fäkalienpampe ausagieren ließ. Doch wie die Schauspieler mit Birkenbäumchen zitternd den Wald markierten oder Macbeth blutüberströmt mit Zigarette seinen Mörder erwartete, das hatte man so zart, so brutal, so poetisch noch nie gesehen.

Dabei wurde die Erkenntnis, dass der Mensch unablässig nach Glück, Ruhm und Macht strebt und dabei so komisch wie tragisch scheitert, zum Kennzeichen seines Theaterkosmos. Dass Jürgen Gosch dies ohne jede Ironie und Konzeptlastigkeit, sondern allein durch die radikale Rückbesinnung auf den Schauspieler gelang, darin liegt seine Stärke.

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