Interview: „Normal sein ist ein Schimpfwort“

Birgit Minichmayr zählt derzeit zu den gefragtesten Schauspielerinnen auf Bühne und Leinwand. Am Donnerstag startet ihr neuer, preisgekrönter Film „Alle Anderen“.

Düsseldorf. Frau Minichmayr, schon vor einem Jahr hat Sie der "Spiegel" als Überfliegerin bezeichnet. Danach ging es rasant weiter: Der Silberne Bär für Sie als Darstellerin in "Alle anderen", die Goldene Palme von Cannes für Michael Hanekes "Das weiße Band", ebenfalls mit Ihnen, Theaterengagements in Wien und Berlin und ein gesungenes Duett mit Campino, für das Wim Wenders ein Video gedreht hat. Wie gefällt Ihnen dieses Überflieger-Leben?

Minichmayr: Es ist schon geballt zurzeit. Vor allem konnte man ja nicht ahnen, dass das alles so aufeinander trifft: Und dann noch die Einladung zum Theatertreffen und der 3sat-Preis für "Der Weibsteufel" und die Single.

Ich kam kürzlich in Wien zu einer Freundin, die sagte: "Na, das ist aber Dein Jahr heuer, oder?" Schon schräg, wie man anscheinend zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist. Echt aufregend, manchmal aber auch erschöpfend.

Minichmayr: Nah in dem Sinne, dass ich Situationen, die sie erlebt, aus meinem privaten Leben kannte. Wenn man so unsicher wird in der Liebe und anstatt bei sich zu bleiben so weit weg geht von sich.

Liebe beschäftigt mich natürlich seitdem ich angefangen habe in Beziehungen zu leben. Aber das war nicht ausschlaggebend, um diese Rolle zu spielen. Es ist eine Figur und man richtet sich nach dem Regisseur.

Wobei Maren Ade und ich auf derselben Spur waren. Gitti geht so weit, dass sie entgegen ihres Charakters vor Freunden die brave Hausfrau spielt, obwohl sie und ihr Partner Chris alles andere als spießig sein wollen.

Minichmayr: Es geht sehr stark um das Einlassen. Ja zu sagen zum anderen. Chris, der Architekt, hat eine berufliche Krise, ist unzufrieden und bezieht vieles auf sich.

Daraus entsteht eine Beziehungskrise. Das merke ich oft auch, dass Beruf und Privates ganz eng miteinander verknüpft sind. Man ist mit sich unrund und dann wird das Gegenüber auch unrund. Sei doch mal normal, sagt Chris zu seiner Freundin Gitti.

Minichmayr: Das bedeutet für mich: Mach keine Schwierigkeiten, sei nicht hysterisch, sprich nicht an, was nicht angesprochen werden soll.

Minichmayr: Ja, denn ich würde mich missverstanden fühlen. Das ist ja wie ein Schimpfwort. Manchmal kann so ein Satz einen aber auch erden. Es gibt diesen Spruch von meinem Vater: Der Ton macht die Musik. Man kann das also so oder so lesen. Im Film geht es um Begegnungen und Abgrenzungen.

Minichmayr: Ich bin jemand, der Begegnungen sucht und bewusst erleben möchte. Alle anderen sind auch ein bisschen wie die Äpfel in Nachbars Garten, die immer besser schmecken. Ich kann aber ganz gut mit meinen Vokabeln übersetzen, was ich für Sehnsüchte habe im Vergleich mit den anderen und woher die kommen.

Minichmayr: Sie ist für mich eine unglaublich große Dialogschreiberin und Filmemacherin. Wenn man bei einem Musiker von einem absoluten Gehör sprechen würde, hat sie das bei Dialogen. Sehr präzise und feinfühlig. Sie nimmt einen sehr ernst und sie ist auch eine Freundin geworden.

Minichmayr: Ich habe gar nicht das Gefühl, dass ich fliege. Das klingt so nach Größenwahn. Ich hoffe, dass es weitergeht mit schönen Drehbüchern, Stoffen und Menschen, die das mit mir erzählen wollen.

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