Helmut Oehrings Wagner-Oper uraufgeführt

Düsseldorf (dpa) - An Richard Wagner kommt in diesem Jahr kein Opernhaus vorbei. Die Deutsche Oper am Rhein, die einst als „Bayreuth am Rhein“ und Pilgerstätte der Wagnerianer galt, gibt sich im Jubiläumsjahr bemerkenswert zurückhaltend - abgesehen von einem neuen „Tannhäuser“, der im Mai herauskommt.

Statt sich dem allgemeinen Trend anzuschließen und etwa einen neuen „Ring“ herauszubringen, hat die Rheinoper bei dem Komponisten Helmut Oehring eine Oper über Wagner in Auftrag gegeben: „SehnSuchtMEER oder Vom Fliegenden Holländer“ heißt das Werk, das jetzt in Düsseldorf unter großem Beifall des Premierenpublikums aus der Taufe gehoben wurde.

Schon der Titel gibt zu erkennen, dass der Komponist sich Wagners frühe Oper über den „untoten“ Seefahrer vorgenommen hat, die noch ganz aus dem Geist der deutschen Spieloper lebt. Aber Oehring greift auch auf den „Tristan“, beziehungsweise dessen Vorstudien in den „Wesendonck-Liedern“ zurück und reichert das Ganze nur sehr vorsichtig mit Toneinspielungen, E-Gitarre und experimentellen Spieltechniken an.

Auf der Handlungsebene mischen Oehring und seine Librettistin Stefanie Wördemann Wagners Plot mit Motiven aus Hans Christian Andersens Märchen von der kleinen Meerjungfrau und Texten von Heinrich Heine, Richard Wagner, Mathilde Wesendonck und Oehring selbst auf. Zur Sprache und überhaupt zu Klängen hat Oehring als Sohn gehörloser Eltern, dessen Muttersprache die Gebärdensprache war, ein besonderes Verhältnis. Mit dieser Herkunft erklärt Oehring seinen Sonderweg als Komponist, der keiner Schule zuzurechnen ist.

Scheu und mit gänzlich unkritischem Staunen nähert sich Oehring Richard Wagner: weite Passagen von „SehnSuchtMEER oder Vom Fliegenden Holländer“ sind dem Original entnommen und nur zart überstreut mit widerständigen Klängen. Nur gelegentlich ereignet sich ein ruppiges Kontrabass-Solo, das Matthias Bauer als Alter Ego der Titelfigur mit rockiger Geste zum Besten gibt.

Unterbrochen werden Wagners Klangwogen immer wieder von Sprecherstimmen, die manchmal aus dem Off kommen, oft aber auch auf der Bühne in Erscheinung treten: Rudolf Kowalski ist für Heine zuständig, Jutta Wachowiak für Andersen und David Moss für eine virtuose Stimmperformance zwischen Gesang und eruptiven Sprechlauten. Als Alter Ego der Senta und der kleinen Meerjungfrau fungiert zudem die Gebärdensprachsolistin Christina Schönfeld, die szenisch das eigentliche Zentrum des Abends bildet.

Christian Schmidt hat in Patina-Tönen eine Kathedrale der Industrie auf die Bühne gesetzt und auch für die edlen Kostüme aus der Entstehungszeit des „Holländers“ gesorgt. Regisseur Claus Guth inszeniert Oehrings Collage dezent und in ästhetisch ansprechenden Bildern. Axel Kober gelingt im Graben die ungemein heikle Aufgabe, die vielfältigen Klangschichten perfekt zu bündeln und mit höchster Präzision auszustatten. Alle Beteiligten leisten Außergewöhnliches.

Dennoch fragt man sich am Ende des fast dreistündigen Opernabends, der selbst eingefleischte Wagnerianer nicht verstören dürfte, was Oehring mit seiner raffiniert gemachten Collage eigentlich sagen will. Denn er reibt sich nicht an Wagner, er kommentiert ihn nicht einmal, sondern schäumt ihn bestenfalls modisch auf. Auch die textlichen Beigaben und das Märchen-Motiv der kleinen Meerjungfrau bieten kaum einen Erkenntniszuwachs. Und Wagner kann das Ganze ohnehin nichts anhaben.

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