Hamburg: Beifall und Buhs für Schimmelpfennig

Hamburg (dpa) - Der Turmbau zu Babel, biblisches Symbol massiv fehlgeleiteter menschlicher Aktivitäten, hängt als Bild kopfüber im Hintergrund. Vorne klafft ein Loch, auf die Abgründe der Erz- und Metallgewinnung in zentralafrikanischen Gruben verweisend.

Hamburg: Beifall und Buhs für Schimmelpfennig
Foto: dpa

Daneben stehen in einer Reihe, frontal ins Publikum sprechend, drei Männer und drei Frauen in westlicher, teilweise altmodischer Kleidung. Furchtbar sind ihre Geschichten, die sie auch in angedeuteten Spielszenen vermitteln. Der Tod von armen Grubenarbeitern in der Republik Kongo ist dabei aufs Engste verschmolzen mit gedankenlosem Handygebrauch der Menschen in Europa.

All das zeigt Erfolgsdramatiker Roland Schimmelpfennig in seinem kurzen Werk „SPAM“ im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Bei der Uraufführung am Freitagabend reagierte das Publikum auf die Auftragsarbeit mit viel Beifall, aber auch mit Buhrufen für Schimmelpfennig (46, „„Calypso“, „Der goldene Drache“), der das surreale Erzähltheaterstück selbst inszeniert hat. Kritik an der globalisierten Wirtschaft mit ihren ungleichen Handelspartnern — häufig Thema aktuellen Theaterschaffens — steht im Blickpunkt des Abends. Konkret ausgeführt am Abbau von Coltan, das vor allem im bürgerkriegsgeschundenen Ostkongo vorkommt und das über das daraus geschaffene Metall Tantal Bestandteil von Smartphones, Laptops und Spielkonsolen ist.

Ein hochbrisanter Stoff also. Es geht Schimmelpfennig, dem wohl meistgespielten Gegenwartsdramatiker, dessen Stücke in rund 40 Ländern laufen, jedoch nicht um eine Dokumentation der verheerenden Zustände in der Republik Kongo. Etwa die nach wie vor militanten Bergwerkskontrollgruppen, Kriegsfinanzierung, Landraub, Kinderarbeit und Vergewaltigungen. Vielmehr schafft der Autor und Regisseur im Bühnenbild von Wilfried Minks eine Art Alptraumgebilde, in dem er Zeiten und Orte kreuzt. Bei einem Grubenunglück kommen 400 Arbeiter ums Leben, eine Witwe (Lina Beckmann) wird vor Trauer blind und ein Afrikaner — „der Riese“ (Aljoscha Stadelmann) — kommt nach Europa, um am Ende mit wie irre telefonierenden Passagieren bei einer Zugexplosion zu sterben.

Der apokalyptische Text wirkt poetisch und bitter, ist angereichert mit magischer Zahlensymbolik und nicht immer leicht zu entschlüsseln. Die ersten Worte der sechs Personen, die auch als Chor fungieren, lauten „Durch das Herz / eines Mannes / fährt ein Zug“ — sie lassen die Verknüpfung von Afrika und Europa, Ausbeutung und Elektronik-Konsum, Innenleben und Außenwelt bereits anklingen. Eine manchmal gewaltige Tonkulisse etwa aus wütenden Schlagzeugrhythmen, dem Weinen einer Frau und dem Klatschen von Regen (Musik: Hannes Gwisdek) prägt den Abend, der vor allem an das Herz des Besuchers appelliert, ebenso wie die teils dunkel funkelnden Bilder und die Leidenschaft der Darsteller.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Liebe und Hass in der Vorstadt
Peter Kurth und Peter Schneider ermitteln im „Polizeiruf“ nach einem Kindsmord in Halle/Saale Liebe und Hass in der Vorstadt
Aus dem Ressort