Ende der alten Suhrkamp-Kultur

Nur ein Teil der Belegschaft folgt der Chefin nach Berlin.

Frankfurt. Es war ein wehmütiges Fest, das in Frankfurt kurz vor Weihnachten stattfand. Die rund 150 Beschäftigten von Suhrkamp kamen zum Abschied ein letztes Mal zusammen. Verlagschefin Ulla Unseld-Berkéwicz war nicht eingeladen.

Auf ihr Betreiben wird Deutschlands Renommierverlag nach seinem Umzug am 4. Januar in Berlin im Bezirk Prenzlauer Berg sein neues Domizil eröffnen - und lediglich mit einem Teil der alten Belegschaft. Nach Angaben des Betriebsrats ist es die Hälfte, die Verlagsspitze spricht von zwei Dritteln.

60 Jahre nach Gründung des Verlags ist die eng mit Frankfurt verbundene alte Suhrkamp-Kultur zu Ende gegangen. Es waren Autoren der "Frankfurter Schule" wie Theodor W. Adorno und später Jürgen Habermas, die maßgeblich den Ruf von Suhrkamp im Nachkriegsdeutschland begründeten. Hinzu kamen literarische Größen wie Martin Walser oder Uwe Johnson.

Nach dem Tod des mächtigen Suhrkamp-Patriarchen Siegfried Unseld im Jahr 2002 zog dessen fast 25 Jahre jüngere Frau Unseld-Berkéwicz die Macht an sich. Und Unseld-Berkéwicz, eine Schauspielerin und Autorin, liebäugelte schon früh mit der großen Bühne in Berlin. Beschlossen wurde die Umsiedlung dann recht plötzlich im Februar dieses Jahres, als sich die Verlegerin mit den Mitgesellschaftern des Verlags einig war.

Ihren größten Feind Joachim Unseld, den sein Vater Siegfried Unseld zuerst zum Kronprinzen erklärt und dann entmachtet hatte, konnte sie aber erst vor wenigen Wochen mit viel Geld befrieden. Joachim Unseld, selbst Verleger in Frankfurt, verkaufte seinen 20-prozentigen Anteil am operativen Verlagsgeschäft - die von ihm gegen den Umzug angestrengte Klage war damit hinfällig.

Von Berlin als der deutschen Kultur-Metropole erwartet die Verlegerin nun Stimulanz, um wieder an die großen Suhrkamp-Zeiten anzuknüpfen. Euphorisch äußerte sie sich über die Hoffnungen auf Berlin: "Einen neuen Rahmen für die Geschichte, neue Arbeitsverhältnisse, die zu neuen Literaturformen führen und, wenn wir viel Glück haben, auch umgekehrt." Während bei anderen Unternehmen Betriebsverlagerungen genutzt werden, um Personal abzubauen, habe es für Berlin bereits Neueinstellungen gegeben.

Viele Beschäftigte verübeln ihrer Chefin, dass sie sich den hehren Anspruch des Verlags von Offenheit und Transparenz intern nicht zu eigen gemacht hat. "Wir Angestellten wurden in keiner Weise in den Umzug miteingebunden", sagt der Betriebsratsvorsitzende Wolfgang Schneider.

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