„Doppelgänger“ von einem Grenzgänger

Stuttgart (dpa) - Einen roten Faden sucht der Zuschauer an diesem Abend vergeblich. Thema dieser Uraufführung im Stuttgarter Kammertheater ist ein zentrales Motiv der deutschen Romantik und des Schriftstellers und Komponisten E.T.A.

„Doppelgänger“ von einem Grenzgänger
Foto: dpa

Hoffmann (1776-1822): das Phänomen des Doppelgängers.

Umgesetzt vom Ungarn David Marton (38) - selbst ein Grenzgänger zwischen Schauspiel und Musiktheater. Eine ganz eigene Form des Musiktheaters hat Marton den Stuttgartern angekündigt, so wie er sie in den letzten Jahren gemeinsam mit Sängern, Musikern und Schauspielern an anderen Bühnen schon entwickelte. „Jenseits aller Gattungsgrenzen“ sei das Stück „Doppelgänger“. Bei der Uraufführung am Samstagabend gibt es am Ende langanhaltenden, zustimmenden Applaus der 180 Premierenzuschauer.

Man muss aber schon vorab eine Idee von dem haben, was Marton so sagen will, um dem Ganzen halbwegs folgen zu können, was sich da auf der Bühne zwischen einer mannshohen Blechkirche, einem Fotostudio, einem Esszimmer und einem erhöhten Schlafzimmer so abspielt. Das Phänomen des Doppelgängers umfasst nämlich nicht nur die Ähnlichkeit der beiden Hauptpersonen - einem Fotografen (Thorbjörn Björnsson) und einem Schriftsteller (Holger Stockhaus) - sondern auch Ich-Spaltungen und Verdopplungen einer einzelnen Persönlichkeit.

E.T.A. Hoffmann schrieb in „Die Elixiere des Teufels“: „Ich bin das, was ich scheine, und scheine das nicht, was ich bin, mir selbst ein unerklärlich Rätsel, bin ich entzweit mit meinem Ich!“ Die Musik dazu stammt aus unterschiedlichen Zeiten und Genres - im Mittelpunkt stehen aber die Klänge der Romantik und vor allem von Robert Schumann (1810-1856). „Weil der zerrüttete Geist Schumanns etwas ist, das in gewisser Weise wie von Hoffmann niedergeschrieben ist“, sagt Marton. Schumann habe sich selbst ein Spiel daraus gemacht, dass er zwei „Ichs“ habe.

In den Werken und im Wirken Hoffmanns und Schumanns entdeckt Marton auch Doppelgänger unserer Gegenwart, stets eingebettet aber in historische Bezüge aus der Zeit der Romantik zwischen der Französischen Revolution und dem Ersten Weltkrieg, wie die Dramaturginnen Anna Haas und Annika Stadler erläutern. Martons Theaterabend ist gleichsam die Suche nach dem Verdrängten und Unheimlichen unserer Zeit und ihren Erscheinungen. „Hoffmann entwirft ein genaues Abbild der menschlichen Angst vor dem eigenen Ich, dem Unbekannten, dem Unkontrollierbaren im eigenen Kopf“, sagt Marton, der 2009 von der Zeitschrift „Die Deutsche Bühne“ noch zum Opernregisseur des Jahres gewählt wurde.

Hoffmanns Doppelgänger seien stets mehr als „eine Kopie, die herumläuft und etwas anderes macht, sondern um das Dunkle, die Schattenseite - bis hin zum Satan“. Zugleich gehe es in seinem Stück aber auch um „die vielen kleinen Momente“, so Marton, in denen ein Jeder das Gefühl habe, ein anderer zu sein. „Es ist immer ein schlimmer Moment, wenn man sich als Kopie seiner Familie erkennt und sich fragt: Wie viel "Ich" bin ich? Bin ich vielleicht der Doppelgänger meiner Familie?“

Doppelgänger sind in gewisser Weise auch die Schauspieler und Musiker in „Doppelgänger“: In Martons Projekten sind Schauspieler, Sänger und Musiker gleichwertig beteiligt. Alle können alles. Holger Stockhaus ist in diesem Fall der einzige Schauspieler des Stuttgarter Ensembles. Sänger können spielen, Schauspieler musizieren und singen. Ein Grundsatz, den auch Stuttgarts neuer Intendant Armin Petras mitgebracht hat. Marton sagt: „Mich interessiert die künstlerische Persönlichkeit und die Person als solche zunächst mehr als die spezielle Profession.“

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