Die große Wut der Künstler

59 Theater protestieren in Wuppertal für den Erhalt des Schauspiels.

Wuppertal. Am letzten Tag seiner Intendanz bei den Wuppertaler Bühnen, 1996 , sagte Holk Freytag zum damaligen Wuppertaler Oberbürgermeister: "Hans - wenn Du an dieses Haus Hand anlegst, dann schicke ich die Busse." Vergangenes Wochenende war es so weit.

Hans Kremendahl ist nicht mehr Oberbürgermeister. Aber das spielt an diesem Samstag keine Rolle. Denn das Theater, an dem der Vorsitzende der Intendantengruppe, Holk Freytag, "die schönsten Jahre seines Schaffens erlebte", soll geschlossen werden. Bis 2012 ist geplant, die Zuschüsse um weitere zwei Millionen Euro zu kürzen. Zudem soll dem Ensemble das denkmalgeschützte Gebäude nicht mehr zu Verfügung stehen. Künstler aus 59 Theatern Deutschlands kommen per Bus und Bahn in die Stadt gereist, um sich mit dem traditionsreichen Wuppertaler Schauspielhaus solidarisch zu erklären, darunter auch bedrohte Häuser wie Moers und Oberhausen. Sie zeigen in mehr als 70 Beiträgen an verschiedenen Spielstätten, dass sie eine "Theaterschließung nicht kampflos zulassen werden".

Gerade spielt im Schauspielhaus auf kleiner Bühne Frank Wickermann vom Schlosstheater Moers ein Fünf-Minuten-Stück: Die Regierung habe wegen Sparmaßnahmen eine Gesetzesänderung vorgenommen und streiche ab sofort Buchstaben aus dem Alphabet. Der Monolog des Akteurs wird zynisch-komisch - ein Zungenbrecher folgt dem nächsten. Nach immer mehr imaginären Buchstaben-Kürzungen ist der Mann bald ohne Worte - und die Zuschauer, von denen viele auf dem Boden kauern, da die Sitzplätze belegt sind, jubeln vor Begeisterung.

Als Wickermann von der Bühne geht, stürmen laut kreischend Tänzer in bunten Kleidern herein. Das Pina-Bausch-Ensemble tanzt auf heitere Boogie-Musik. Auf den Gesichtern der Besucher sieht man beseeltes Lächeln.

Eigentlich könnte es ein Theaterfest der Superlative sein. Doch der Anlass ist ein anderer. Während die Künstler im Zehn-Minuten-Takt spielen, wartet eine Menschenmenge vor dem Haus auf Einlass. Die Kapazitäten des "Kleinen Hauses", das durch die Schließung der großen Bühne derzeit die einzige Spielstätte an der Bundesallee ist, sind ausreizt. Intendant Christian von Treskow bittet die Wartenden, sich auf die anderen Spielorte zu verteilen. "Macht das große Haus auf", ruft einer fordernd aus der Menge. Von Treskow antwortet: "Dafür haben wir leider keinen Schlüssel mehr."

Die Organisatoren um Holk Freytag und Dramaturg Klaus Pierwoß haben sich einiges einfallen lassen, um sich für den Erhalt des Hauses einzusetzen: Neben den Beiträgen der Künstler fuhr ein Motorradkorso vor, angeführt von Armin Rohde auf einer Harley. Der Schauspieler begann einst in Wuppertal seine Karriere. Eine drei Kilometer lange Menschenkette am Nachmittag und eine große Gala am Abend, in der auch der Theaterpeis des "Internationalen Theaterinstituts" verliehen wird, geben der Aktion die nötige Dramatik. Doch der kurze Auftritt der prominenten Preisträger, Regisseur Christoph Marthaler und Bühnenbildnerin Anna Viehbrock, macht schnell klar, auch sie wollen ihre große Stunde dem Motto des Tages unterordnen: dem drohenden Theatersterben.

Immer wieder betonen die Redner am Nachnmittag und Abend die Wichtigkeit von Kultur. Immer wieder warnen sie, dass "wenn dieses Haus geschlossen wird, bald andere folgen werden". Doch neben den lauteren Momenten gibt es auch die leiseren: Die ehemalige Wuppertaler Schauspielerin Rena Liebenow wird am Gala-Abend auf die Bühne gebeten. Ob sie auch etwas sagen möchte, wird sie gefragt: Liebenow steht da und ringt mit den Worten. Dann sagt sie diesen Satz: "Dass mein Theater geschlossen werden soll, macht mich sprachlos."

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