„Aus der Zeit fallen“: Achtungserfolg für Uraufführung

Berlin (dpa) - Spätestens seit er 2010 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekommen hat, gilt David Grossman auch beim breiten Publikum in Deutschland als einer der wichtigsten Gegenwartsautoren Israels.

Am Deutschen Theater Berlin hatte jetzt eine Theaterfassung seines bisher letzten Buches „Aus der Zeit fallen“ die Uraufführung.

In seinem im Januar in Deutschland erschienenen Buch „Aus der Zeit fallen“ unternimmt der israelische Autor David Grossman (59) den Versuch, über den Tod seines Sohnes hinwegzukommen. Uri war im August 2006 als Soldat der israelischen Armee im Libanonkrieg gestorben. Andreas Kriegenburg, Hausregisseur am Deutschen Theater Berlin, hat den Text am Freitagabend (13. Dezember) in eigener Bearbeitung als eine Art Schauspiel-Requiem uraufgeführt.

Grossman nennt „Aus der Zeit fallen“ in Interviews gern ein Gedicht oder auch ein Oratorium. In stark überhöhten Dialogen und Monologen reflektiert er darin den Schmerz von Menschen, die ein Kind an den Tod verloren haben. Zu Beginn verlässt ein Mann (Matthias Neukirch) seine Frau (Katrin Klein), um zum gemeinsamen Sohn zu gehen. Doch der ist fünf Jahre zuvor verstorben. Der Mann trifft andere Menschen, die ein Kind beweinen. Sie trauern gemeinsam. Eine Handlung, wie sie Theaterstücke in der Regel offerieren, gibt es nicht.

Die Inszenierung von Andreas Kriegenburg setzt vor allem auf die Akteure. Mit enormem körperlichen Einsatz und oftmals geradezu expressiver Sprachpräsenz präsentieren sie allen Zorn, den Schmerz und die Hilflosigkeit Trauernder. Zunächst wirkt dabei die Metapher des ewigen Laufens sehr schlüssig. Einerseits laufen der Mann und die anderen vor dem Erinnern davon. Andererseits eilen sie hoffentlich neuem Lebensmut entgegen.

Die Überzeugungskraft der Metapher vom aufrechten Gang als Muss allen (Über-)Lebens erschöpft sich allerdings relativ rasch. Je weiter der insgesamt dreieinhalb Stunden dauernde Abend fortschreitet, umso pathetischer und gelegentlich auch prätentiöser wirkt die Aufführung. Am augenfälligsten ist das im Finale. Da fiel Andreas Kriegenburg nichts anderes ein, als die nackte Pein der Protagonisten durch die Nacktheit einiger der Akteure zu spiegeln.

Viel nachhaltiger ist gleich das erste Bild des Abends: da werden im Dunkeln zahllose flackernde Windlichter wie von Geisterhand in die Höhe gezogen. Es sieht so aus, als wollten die Seelen Verstorbener den Lebenden das Licht schenken. Kein zweiter Moment der Aufführung erreicht die Stärke dieses wunderbar einfachen und doch so vielsagenden Bildes.

Wesentlich wird die Inszenierung durch das Bühnenbild von Olga Ventosa Quintana geprägt. Der Raum bleibt oft im Halbdunkel. Eine düstere Bespannung des weiten Rundhorizonts lässt an eine Höhle denken. Die Drehbühne bewegt sich nahezu unentwegt. Riesige, meist transparente Würfel, die von den durchweg sichtbaren Technikern fast ohne Unterlass bewegt werden, markieren Häuser oder Käfige. Die Darsteller laufen um diese Würfel, die auch mal die Silhouette einer Stadt andeuten, herum, agieren in und auf ihnen.

Grossman, der in seiner Heimat kontinuierlich und vehement für eine friedliche Entwicklung im Nahen Osten eintritt, macht es dem Publikum nicht leicht. Er verknüpft in der politische Anspielungen weitestgehend vermeidenden Erzählung Elemente der Tragödie, von Klageliedern und Versepen zu einem verschlungenen Text von großer Trauer. Regisseur Kriegenburg sucht in seiner Bearbeitung des Stoffes für die Bühne in dieser Trauer nach einem Hohelied auf das Leben.

Dabei konnten ihm nicht alle Zuschauer der Uraufführung folgen. Auffallend viele verließen das Theater bereits in der Pause. Der Schlussapplaus derer, die geblieben waren, wirkte jedoch warmherzig. Als sich David Grossman zusammen mit Regisseur Andreas Kriegenburg und den Schauspielern verbeugte, war der Beifall besonders stark und wurde von einigen Bravo-Rufen begleitet.

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