Am Rhein allein: Kölner Theater spielt Stück des Wuppertalers Karl Otto Mühl

Kölner Theater spielt ein Stück des Wuppertalers Karl Otto Mühl.

Köln. Er drückt ihre Hand und lächelt. Knapp 60 Jahre liegen zwischen ihnen: dem 90-jährigen Autor Karl Otto Mühl aus Wuppertal und der Nachwuchsregisseurin Nora Bussenius, geb. 1982. Beide genießen den begeisterten Applaus für ihre „Rheinpromenade“, das Stück, das die bisherige Assistentin am Kölner Schauspiel mit großartigen Darstellern und gutem Gefühl für Tempo auf die Bühne gebracht hat. Mühl lächelt verschmitzt, Bussenius erleichtert. Ein schöner Moment.

1974 gelang dem Wuppertaler Kaufmann und freien Schriftsteller mit eben dieser „Rheinpromenade“ der Durchbruch an deutschen Bühnen. Heute wird sie kaum noch gespielt. Zu Unrecht, wie die Kölner Inszenierung beweist. Mühl erzählt vom alten Fritz, einem vierschrötigen Kerl, der mit 74 das Leben genießen will. Trotz seiner Zeit im Krieg, trotz verstorbener Frau, trotz Tochter und Schwiegersohn, die ihn in ein Altenheim wünschen.

„Geh ins Bett“, rät Kläre, die immer alles richtig machen will. „Ich bin nicht müde“, schnauzt der Vater und spaziert mit der kleinen Ina von nebenan an den Rhein. Das Kind kommt ihm nah, sitzt auf seinem Schoß und stellt neugierige Fragen. Das ist zu viel, finden die Nachbarn.

Eine Schrankwand im 70er-Jahre-Look ist die Kulisse, orange leuchtet der Nippes mit Retro-Charme in den Regalen. Es entsteht eine Atmosphäre miefiger Kleinbürgerlichkeit und hipper Nostalgie zugleich. Die Figuren bewegen sich vor und in diesem Schrank, haben darin ihren Platz wie in den einst beliebten Setzkästen. Sie müssen sich verrenken, um zueinander zu gelangen.

Unaussprechliches schwiemelt durch die Luft, es riecht nach Missbrauch zwischen Vater und Tochter, nach Nazi-Schuld und erotischen Sehnsüchten. Immer wieder blinkt „Sex“ in Leuchtbuchstaben auf. Plakativ ist hier dennoch nichts, die Schwere des Alterns, die Sehnsucht nach Nähe, die Sprachlosigkeit in der Familie — das alles schwingt gekonnt inszeniert durch den Raum.

Die ausgezeichneten Schauspieler lassen in einem anfangs anstrengend langsamen Tempo traurige Beziehungslosigkeit entstehen. Anrührend bleibt einem der 70er Jahre Hit „Seasons in the Sun“ — eigentlich eine Verabschiedung in den Tod — im Ohr. Sie alle tanzen und sind für einen Moment frei. Die Musik stoppt, und jeder ist wieder allein.

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