Showdown Wo Sherlockianer einander an die Gurgel gehen

Meiringen (dpa) - Sherlock Holmes und der Bösewicht Moriarty gehen einander an die Gurgel. Sie ringen und fauchen am Rand der Reichenbach-Wasserfälle in der Schweiz, und dann ... lassen sie lachend voneinander ab.

Showdown: Wo Sherlockianer einander an die Gurgel gehen
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Dies ist keine neue Verfilmung der legendären britischen Detektivgeschichten. Hier gehen sich zwei Mitglieder der deutschen Sherlock-Holmes-Gesellschaft gegenseitig spielerisch an den Kragen.

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Warum? „Elementar, mein lieber Watson“, würde Sherlock zu seinem Assistenten Dr. Watson sagen, so, als müsse er seine geniale Kombiniergabe zur Lösung eines kniffligen Problems mal wieder unter Beweis stellen. Denn an den Wasserfällen bei Meiringen fand die dramatische Begegnung zwischen Holmes und Moriarty statt. Hier stürzten die Figuren nach der Erzählung „Das letzte Problem“ in die Tiefe. Der Besuch dort ist für eingefleischte Sherlockianer ein Muss.

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In diesem Jahr hat die Sherlock-Holmes-Gesellschaft bei ihrer Reise nach Meiringen rund 100 Kilometer südlich von Zürich einen besonderen Kranz dabei: Sie gedenkt des genialen Detektivs 130 Jahre nach Erscheinen des ersten Falls und hängt das Gebinde feierlich ans Gestein. Die genaue Geburtsstunde des Sherlock Holmes ist unbekannt. „A Study in Scarlet“ (Eine Studie in Scharlachrot) erschien im Magazin „Beeton's Christmas Annual“, irgendwann im November 1887.

Die ganze Truppe ist in viktorianischer Kleidung unterwegs. „Es ist faszinierend, so eine historische Figur zu begleiten“, sagt Olaf Maurer (50), Präsident der Gesellschaft und seines Zeichens Sherlock Holmes. Der Exportmanager aus Ludwigshafen war schon als Junge von Kriminaltechnik begeistert. Dann kam als Pflichtlektüre Sherlock Holmes in der Schule: „Ab diesem Zeitpunkt hing ich am Haken.“ Seine Teenager-Töchter fänden das Hobby nicht so prickelnd.

Er hat natürlich Pfeife und Vergrößerungsglas dabei und trägt einen Deerstalker, die Sherlock-typische Jagdmütze mit Nacken- und Augenschirm, sowie einen Cape-Mantel im Karomuster, das Inverness-Cape. So wurde Sherlock Holmes in frühen Illustrationen in einer englischen Zeitschrift dargestellt. „Das habe ich mir nach historischen Vorlagen schneidern lassen“ sagt er. Von der Stange gibt es so etwas nicht, schon gar nicht bei einer Größe von 2,06 Metern.

In Stephan Wailersbacher, 2,03 Meter, hat Maurer einen idealen Dr. Watson gefunden. Der Finanzbuchhalter aus St. Wendel hat sich Knickerbocker und Weste im viktorianischen Stil nähen lassen. Er gibt den Watson auch gerne im Schottenrock. So ein Aufzug ist in den Büchern zwar nicht erwähnt, aber schließlich war Watson Schotte.

„Man tritt schon anders auf, wenn man diese Sachen an hat, man fühlt sich eleganter“, sagt Wailersbacher (41). Was er nicht mag: „Wenn Watson in Filmen als Trottel dargestellt wird. Schließlich war er Arzt.“ Doyle bezeichnete Watson allerdings selbst 1927 in einem Interview, das auf Film erhalten ist, als „ziemlich blöd“.

Zur Gesellschaft gehören in Meiringen gut ein Dutzend Leute, Herren mit Fliege, Boilerhut oder Schlägermütze, Damen mit Röcken in Samt und Spitze. Darunter sind die Glücklichs. Nicole (36), Informatikerin aus Ottweiler im Saarland, in einer Kreation in Lila, Mutter Inge als Sherlocks Vermieterin Mrs. Hudson und Silvia (36), Verlagsangestellte aus Basel, wahlweise als Polizistin oder Dame mit Hut.

Nicole Glücklich näht vieles selbst. „Wir haben drei Kleiderschränke voll Klamotten zu Hause“, sagt sie. Und ein viktorianisch eingerichtetes Zimmer. Nicole und Silvia haben 2016 viktorianisch Hochzeit gefeiert. Sherlock und Watson waren Trauzeugen.

Viele Sherlock-Fans sind Sammler. Erstausgaben, historisches Material, oder auch alles andere mit Sherlock-Bezug. Maurer hat unter anderem einen Original-Nachdruck des Magazins von 1887. „Ich habe aktuell mal eine Fingerhutsammlung angefangen“, sagt er. Nicole Glücklich steht auf Skurriles. Sie hat zum Beispiel eine Sherlock-Werbetasse für ein Potenzmittel. Bei Wailersbacher hängt ein Bild von Queen Victoria über der Wohnzimmertür.

Uwe Rödel (51), Verkaufsleiter aus Plauen im Vogtland in Sachsen, ist erstmals in Meiringen und ist als Moriarty angereist. In der DDR „gab es die Sherlock-Holmes-Geschichten nicht gerade über die Ladentheke“, sagt er. Aber man konnte sie finden, und er wurde Fan. Seine Frau und sein zwölfjähriger Sohn tolerierten das Hobby.

Zur Hilfe kommt ihm die populäre Neuverfilmung als BBC-Serie, die Sherlock seit 2010 in einem modernen Kontext zeigt. „Meine Frau steht auf Benedict Cumberbatch als Sherlock, und mein Sohn mag den Bösewicht Moriarty, den Andrew Scott spielt“, sagt er. Für Puristen, die auf das Viktorianische stehen, sind solche neuartigen Sherlock-Projekte eher schwer zu verdauen.

Sherlock-Fans finden noch 87 Jahre nach dem Tod des Erschaffers Sir Arthur Conan Doyle (1859-1930) ein unendliches Feld der Faszination: Sie beschäftigen sich mit Sherlocks Hobbys, seinen Beziehungen zu anderen Figuren, zu Deutschland, zu Frauen. Zu Theaterstücken über Sherlock Holmes reisen sie gerne im historischen Gewand an. „Ist doch schön, sein Hobby so zu zeigen“, sagt Inge Glücklich.

Da war etwa die schwäbische Komödie „Sherlock Holmes und die Kehrwoche des Todes“ 2015. Oder ein Krimi-Dinner „Sherlock Holmes und die vergiftete Maultaschensuppe“ in einigen Hotels im Schwäbischen, bei dem der Gatte einer schwäbischen Baronin plötzlich das Zeitliche segnet. Dinnergäste müssen beim Ermitteln des Mörders mitraten.

Dann gibt es die vielen Filme: Wer war der beste Sherlock? Der Brite Jeremy Brett (1933-1995) in den 80er und 90er Jahren, sind sich die meisten einig. Der schlimmste Film? Zum Beispiel „Sherlock Holmes und der Dinosaurier“ (2010) oder „Sir Arthur Knatterski“ (1980). Im Mai 2018 feiern die Sherlockianer ihren Helden beim großen Sherlock-Fest „SherloCon“ in Saarbrücken. Es gibt Vorträge, Fan-Artikel und Neuheiten. Vielleicht auch wie beim letzten Mal ein Zitate-Bingo mit Passagen aus dem Gesamtwerk aus 56 Kurzgeschichten und vier Romanen.

Doyle hatte nach drei Sherlock-Romanen und rund zwei Dutzend Kurzgeschichten die Nase voll und ließ ihn an den Reichenbachfällen abstürzen. Auf Meiringen kam der begeisterte Wanderer durch einen Urlaub. Doch seine Fans beknieten ihn weiterzuschreiben, und als Doyle Geld brauchte, ließ er den Meisterdetektiv wieder auferstehen.

Für viele Sherlockianer ist das Ermittlergenie bis heute so lebendig wie eh und je. „Es ist erstaunlich, wie viele Menschen in aller Welt überzeugt sind, dass er echt ist“, stellte Doyle selbst 1927 fest.

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