Werkverzeichnis: Ein Verlag stemmt ein Meisterwerk

Bei Van Ham Art Publications ist der exzellente Katalog aller 2900 Gemälde des Künstlers Karl Hofer erschienen.

Düsseldorf. "Eine Odyssee hat ein glückliches Ende gefunden", schreibt Markus Eisenbeis im Vorwort. Fürwahr, hat doch Karl Bernhard Wohlert dreißig Jahre in aller Welt geforscht, um Provenienzen und Verbleib der Hoferschen Werke klären zu können. So ist es der Van Ham Art Publications, in Köln ansässiges Auktionshaus, gelungen, eine verlegerische Großtat zu stemmen.

Das erste Werkverzeichnis wurde 2002 herausgegeben, doch gingen danach mehr als 150 Neuzugänge ein, so dass eine völlig überarbeitete Neufassung unabdingbar wurde. Davon zeugen auch die im Anhang des dritten Bandes geänderten Werknummern. Das Verzeichnis umfasst jetzt 2900 Gemälde; im Frühjahr 2009 folgt ein zweites mit 2300 Aquarelle und Zeichnungen.

Karl Hofer (1878 bis 1955), der später mit "Carl" signierte, erlebte zwei Weltkriege. Er wuchs als Waise bei zwei Tanten in Karlsruhe auf, absolvierte eine Ausbildung bei Hans Thoma und wurde nach einjährigem Studienaufenthalt in Paris Meisterschüler bei Leopold von Kalckreuth. Fünf Jahre in Rom prägten ihn im Sinne von Hans von Marées, zwei mehrmonatige Aufenthalte im damaligen Faszinosum Indien führten zu Porträts und Landschaften mit expressiver Gestik.

1914 hielt er sich kurz in Paris auf und wurde dort sofort nach Ausbruch des Weltkrieges interniert. Erst nach langen Verhandlungen kam er als Austauschgefangener 1917 frei. Gemälde aus dieser Zeit spiegeln seine "Innerlichkeit als Ausdruck tiefer Zerrissenheit und Verstörung".

Neben aller zeitgeschichtlicher Unbill machte Hofer, der nach 1945 Direktor der Berliner Hochschule für bildende Kunst wurde, sich das Leben selber schwer. So geschah es, dass ihm der Kunstkritiker Will Grohmann "das magere Verhältnis zu Form und Raum" ankreidete, weil sich Hofer der Abstraktion verweigerte - obwohl ja längst Kandinsky, Klee und die Konstruktivisten einen anderen Weg als die Gegenständlichkeit aufzeigten. Doch wer dieses Werkverzeichnis studiert, erkennt auch Hofers Beweggründe dafür.

Aus dem Jahr 1900 stammt ein lebenssattes, blau-grün sonniges Landschaftsidyll, das stark etwa an die Alpenlandschaften Kalckreuths erinnert. Melancholie, wohl die prägendste Kindheitserfahrung, umspannt Hofers gesamtes Lebenswerk: Die Porträts und Akte zeigen Menschen mit geschlossenen Augen, abgewandt, gar gesichtslos, als wollten sie sich und ihr Inneres verbergen. Dennoch nehmen die Motive in den 30er Jahren Zeit- und Sozialkritik auf, zeigen Arbeitslose, denen aussichtsloses Warten ins Gesicht eingeschrieben ist, ausgehungerte Gefangene oder, nach dem 2. Weltkrieg, "Gefangene im Rad". Solche Motive taugen wohl nicht für Abstraktion.

Blanke Apokalypse und Gespenstisches offenbarte schon "Yellow Dog Blues" (1924), das den Tod als Skelett mit einem Baby-Skelett im Becken zeigt und einen grausigen Clown mit mörderisch gefletschten Zähnen. "Santa Denunziata", das ein Volk aus gierigen Ohren und verdächtigenden Blicken entlarvt und an die Stasi-DDR erinnert, folgt 1941. "Atomserenade" und die erschütternde "Ruinennacht" (1947) belegen eindringlich, dass Hofer sich eingebunden fühlte in die Ereignisse. Seine Karnevals und Clowns besitzen nie etwas Spielerisches oder echte Narretei, sondern höhnende Gefahr.

Immerhin hatten 1934 die Nationalsozialisten 313 Werke als "entartet" beschlagnahmt, und 1943 vernichtete ein Atelier-Brand noch einmal die Arbeit von Jahren: "Etwa 150 Bilder, über tausend Zeichnungen, nebst allem, was mich an mein früheres Dasein band, war dahin", klagt er.

Sein Erbe befindet sich heute in amerikanischen Museen, mit 34 Gemälden im Kunstmuseum Winterthur, dessen Mitbegründer, der Kaufmann Theodor Reinhart, sein treuer Mäzen war. 22 erwarben die Stiftung Preußischer Kunstbesitz, neun findet man in Stuttgart, vier je in Wuppertal und Köln, zwei in Krefeld und Düsseldorf. Das starke "Lot und seine Töchter" ist in Solinger Privatbesitz; der damals in Düsseldorf ansässige Galerist Alfred Flechtheim hatte es vermittelt.

Der dritte Band klärt auf über das Schicksal der Werke. Viele hat der Künstler selber vernichtet oder übermalt, bei anderen ist der "Verbleib unbekannt". Ihre Existenz belegen nur Fotografien von Auktionshäusern, des Kunstmuseums Winterthur und von Hansrudi Hofer. Bibliographie, Autographen, Skizzen, Nachlassliste und das beeindruckende Verzeichnis der Hofer-Ausstellungen von Apolda bis Ankara, Berlin bis Birmingham sowie ein Verzeichnis der Museen mit Hofer-Besitz dokumentieren eine eindrucksvolle Forscherleistung.

Karl Bernhard Wohlert/Markus Eisenbeis: Karl Hofer. Werkverzeichnis der Gemälde. 3 Bände, geb., zus. 911 Seiten plus Anhang, 1 Foto-CD Van Ham Art Publications, Köln, 300 Euro

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