Vor 400 Jahren starb William Shakespeare

London (dpa) - Die Fahrt von London nach Stratford-upon-Avon dauert zweieinhalb Stunden: Vorortzug, mit Umsteigen, unbequem. Drei junge Mädchen aus Asien tänzeln durch den Waggon, Handy in der Hand, kichernd.

Vor 400 Jahren starb William Shakespeare
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„Zu Shakespeare?“, fragt ein älterer Fahrgast. Die Mädchen nicken, giggeln noch lauter. Was ist so witzig an Shakespeare? Wissen sie, dass die Welt dieser Tage (23. April) den 400. Todestag des Groß-Dramatikers feiert?

Was wissen sie überhaupt von dem Mann aus Stratford, der der Welt noch heute reichlich Rätsel aufgibt? „Das meiste, was ich über Shakespeare weiß, weiß ich von Google“, meint die junge Japanerin. „World famous british author“, weltberühmter Autor eben.

Shakespeare ist zur Weltmarke geworden. 123 Millionen Google Treffer. Man braucht ihn nicht mehr zu lesen, um ihn zu kennen. Seine Stücke nicht mehr zu schauen, um über die Worte zu staunen. Shakespeares Leben, Shakespeares Zitate, alles abrufbar, per Mausklick.

Ein Kinderspiel, wunderbar: Man gibt ein „Shakespeare Natter“, schon springt das unheimlich-schaurige Zitat auf den Schirm. „Der warme Tag ist's, der die Natter zeugt.“ Oder „Shakespeare Lerche“, schon erscheint das Liebesgeflüster aus „Romeo und Julia“, diese wundervolle Melange aus Verzückung und Verzweiflung im Morgengrauen: „Es war die Nachtigall und nicht die Lerche.“ So leicht kommt man heutzutage an Weltliteratur.

Erste Station in Stratford ist meist das Geburtshaus, Fachwerk, ein paar Räume mit tiefen Decken, nicht sonderlich bewegend. Der Vater sei Handschuhmacher gewesen, der Sohn habe eine Lateinschule besucht, erzählt der Führer.

„Früher habe ich Shakespeare gehasst“, meint eine ältere Dame auf die Frage, ob sie den Landsmann denn wirklich möge. „Die Lehrer haben es nicht gut gemacht.“ Doch kürzlich habe sie einen Kurs besucht, sie sei begeistert, die ganze Gruppe sei nach Stratford gefahren.

Ganz ähnlich sei es ihm auch ergangen, meint ein anderer Besucher, auch er schon Pensionär, früher Steuerberater. „Shakespeare ist schwierig, selbst Witze, die 400 Jahre alt sind, versteht man nicht mehr so einfach.“

„Doch je älter ich werde“, plaudert der muntere Rentner, und lässt den Satz unvollendet. „Diese Dramen, diese Intrigen, diese Morde ... Und dann noch die Frage, ob er das überhaupt selbst geschrieben hat.“

Shakespeare - der Rätselmann. Reihenweise haben Kritiker sich die Zähne ausgebissen, um zu beweisen, dass der Mann aus Stratford gar nicht der Autor von „Hamlet“, „Romeo und Julia“ oder „Macbeth“ war. Reihenweise wurden Alternativ-Autoren angeboten. „Seins oder nicht seins“, witzelten deutsche Schüler vor Jahrzehnten. Heute haben sich Experten darauf geeinigt, dass der Mann aus Stratford doch der Urheber ist - doch ganz ausgestanden ist der Streit noch immer nicht.

Verrückt: „Shakespeares Werk enthält 138 198 Kommas, 26 794 Semikolons und 15 785 Fragezeichen“, weiß der Autor Bill Bryson. Doch dabei hat kein Manuskript überlebt, das der Dichter selbst geschrieben hat. Nicht mal den exakten Geburtstag weiß man, mit 18 soll Shakespeare eine acht Jahre altere Frau geheiratet haben, dann verließ er Frau und Kind. „Verlorene Jahre“ nennen Experten eine längere Zeitspanne, in der der Mann schlichtweg verschollen war. Spekulationen blühen: War er in Italien, Italienisch lernen für seine späteren Dramen, die in Italien spielen?

Dann der steile Aufstieg in den 90er Jahren in London, Theater war damals so etwas wie ein Volksvergnügen, doch Shakespeare spielte auch vor Elizabeth I. bei Hofe. Seine Stücke, diese Ränkespiele über Macht und Machtmissbrauch - aus gutem Grund verlegte Shakespeare sie stets in die Vergangenheit.

Auch ansonsten erlaubte sich der Engländer einige Freiheiten, die heutzutage jeden Dramatiker zu Fall bringen würden, Schummeleien, über die man nur den Kopf schütteln kann. „Er ließ Ägypter der Antike Billard spielen und führte die Uhr in Cäsars Rom ein, 1400 Jahre bevor dort das erste mechanische Ticken zu vernehmen war“, so Bryson.

In vielen Werken gebe es Zeilen, die schlichtweg unverständlich seien, Rechtschreibung sei Luxus gewesen, den Shakespeare nicht anstrebte. Dafür übernahm er ohne Hemmungen Stoff und Textpassagen von anderen Autoren. „Natürlich hat Shakespeare von Anderen gestohlen“, titelt der „Independent“ unlängst, „schließlich war er ein Genie.“

Vor allem aber: Der Mann aus dem kleinen Stratford, der nie eine Universität besuchte, schenkte der englischen Sprache reihenweise Worte, die bis heute überdauern: Antipathie, kritisch, frugal, Mordanschlag. Über 300 solcher Ausdrücke soll er aus der Taufe gehoben haben. „Was wären wir ohne ihn?“, schwärmen seine Fans.

Stephen Rogers, 43 Jahre alt, Engländer und Englischlehrer an der Europäischen Schule Frankfurt, ist ein Shakespeare-Fan. Als er selbst Pennäler war, hat er zuerst den „Kaufmann von Venedig“ gelesen („mit dem vermeintlichen Antisemitismus“), dann „Macbeth“. Der Lehrer damals sei klasse gewesen, das Stück eine Offenbarung. „Wir mussten in der Klasse nach vorne kommen und so tun, als würden wir uns das Blut von den Händen waschen.“

„Was der Lehrer gesagt hat, war nicht immer politisch korrekt. "Passt auf die Frauen auf, Frauen können gefährlich sein."“ Solche Sprüche gingen natürlich heute gar nicht mehr, meint Rogers im Rückblick. Aber das sei eben Shakespeare, das pralle Leben, die dunklen Seiten. Geheimnisse, die niemand sehen durfte, kommen auf die Bühne.

Jetzt sei er dabei, den Söhnen und Töchtern der EZB-Banker den seit 400 Jahren toten Dichter näher zu bringen, sagt der Englischlehrer Rogers. „Das ist nicht leicht, aber es geht schon.“ Er setze auf Rollenspiele.“ Ob die Pennäler die Inhaltsangaben der Dramen googeln?

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