Streit um Erwin Strittmatter

Spremberg (dpa) - Die Schatten der Vergangenheit haben auch Erwin Strittmatter (1912-1994) eingeholt. Er war in der DDR neben Stefan Heym (1913-2001) und Christa Wolf (1929-2011) einer der bekanntesten Schriftsteller und galt als überzeugter Antifaschist.

Seine Romane wie „Tinko“, „Ole Bienkopp“ und „Der Laden“ brachten ihm eine große Leserschaft ein. Der 100. Geburtstag des großen Literaten am 14. August soll einige Tage später in seiner südbrandenburgischen Geburtsstadt Spremberg gefeiert werden, doch darüber gibt es Streit.

Dieser bekam immer neue Nahrung, seitdem Historiker mehr und mehr Details über bisher verschwiegene Seiten in Strittmatter Biografie bekanntmachten. Dazu gehören sein Dienst in einer Polizeieinheit, die der berüchtigten Waffen-SS unterstellt war und Partisanen bekämpfte, sowie seine spätere Tätigkeit für die DDR-Stasi.

Deshalb verweigerte der städtische Hauptausschuss kürzlich mit einem Mehrheitsbeschluss eine Beteiligung der Stadt an der Jubiläumsfeier am 18. August. Das Rathaus überlässt die Ehrung nun dem örtlichen Strittmatter-Verein. „Wir wollen das literarische Erbe von Erwin Strittmatter würdigen, ohne die dunklen Seiten seines Lebens zu vernachlässigen“, sagt Vereinschefin Renate Brucke.

So machte der Berliner Literaturwissenschaftler Werner Liersch Mitte 2008 öffentlich, dass Strittmatter von 1941 bis 1945 Angehöriger der NS-Ordnungspolizei war, die in besetzten Ländern Kriegsverbrechen beging. Der Lausitzer Schriftsteller und Nationalpreisträger hatte nach dem Krieg nur erwähnt, dass er als Schreiber in einem Polizeibataillon eingesetzt war und keinen Schuss abgegeben habe.

Die Jenaer Historikerin Annette Leo entdeckte entsprechende Dokumente in seiner SED-Kaderakte. Allerdings habe Strittmatter verschwiegen, dass er im Krieg auch beim Polizei-Gebirgsjäger-Regiment Nr. 18 war, das 1943 den Zusatz „SS“ bekam. Er habe sich aus persönlichen Gründen bei der SS beworben, sei aber kein überzeugter Nazi gewesen.

Auch prominente Kollegen von Strittmatter in Ost und West sorgten für Wirbel, als sie in den 1990er Jahren bis dahin verborgene Seiten ihrer Biografien öffneten. So wurde damals bekannt, dass Christa Wolf („Der geteilte Himmel“) von 1959 bis 1962 als „IM Margarete“ für die Stasi tätig war. 1993 veröffentlichte sie ihre IM-Akte unter dem Titel „Akteneinsicht Christa Wolf“. Ihr westdeutscher Kollege Günter Grass („Die Blechtrommel“) hatte erst 2006 zugegeben, dass er im Krieg Mitglied der Waffen-SS war. Damals erschien unter dem Titel „Beim Häuten der Zwiebel“ sein Erinnerungsbuch, in dem der Literaturnobelpreisträger sein Leben und die Kriegszeit schildert.

In Spremberg sind die Fraktionen von CDU, SPD und FDP dagegen, dass die Stadt Strittmatter öffentlich ehrt. „Erwin Strittmatter hat sich freiwillig den beiden deutschen Diktaturen des 20. Jahrhunderts angedient“, begründete der SPD-Politiker und Fraktionschef Andreas Lemke seine Ablehnung. Nach dem Krieg habe sich Strittmatter „von braun auf rot umlackiert“ und sei ein hochdekoriertes SED-Mitglied und ein Zuträger der Stasi geworden.

Die Spremberger Linksfraktion will nach wie vor, dass sich die Stadt am großen Jubiläum im Sommer beteiligt. „Wir wollen Strittmatter nicht auf einen Sockel heben, sondern nachfragen, warum er sich damals so verhalten hat“, bemerkt die stellvertretende Fraktionschefin und Landtagsabgeordnete Birgit Wöllert. Und sie verweist auf einen anderen Jubilar: „Auch der Preußenkönig Friedrich II. war umstritten, und trotzdem feiern wir seinen 300. Geburtstag.“

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