Nach Kehlmanns Bestseller nun Kurzgeschichten

Literatur: Der 34-Jährige verknüpft in „Ruhm“ gekonnt neun Episoden. Ein Roman ist es nicht.

Düsseldorf. Mit "Die Vermessung der Welt" gelang dem 34-jährigen Daniel Kehlmann ein unglaublicher Erfolg. Seine Geschichte über die beiden Forscher Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß machte den jungen deutschen Schriftsteller 2005 weltberühmt.

Der Roman war ein außerordentlicher Genuss: Scheinbar mit leichter Hand verfasste Zeilen, mit denen er sich humorvoll, zuweilen respektlos und handwerklich makellos in die erste Liga der deutschen Autoren schrieb. Dass Kehlmann sein Nachfolge-Werk "Ruhm" nennt, zeugt entweder von komplettem Größenwahn oder herrlicher Selbstironie - so möchte man meinen.

Doch obwohl er in neun lose miteinander verbundenen Kurzgeschichten immer wieder die Rolle des Schriftstellers, den Umgang mit Popularität und die skurrilen Seiten des Literaturbetriebs bis hin zu Auftritten vor uninteressierten Exil-Deutschen in der ausländischen Provinz reflektiert, lässt sich weder das eine noch das andere erkennen.

Kehlmann hat eine Nabelschau nicht nötig. Man erfährt, dass die häufigsten Fragen, die einem berühmten Literaten gestellt werden, sich immer und überall wiederholen: "Woher nehmen Sie ihre Ideen?" und "Wann schreiben Sie?" Leo Richter, der erfolgsgewohnte und leiderfahrene Schriftsteller aus Kehlmanns neuem Werk, hat darauf zwei Standardantworten parat: "In der Badewanne", und, "immer nachmittags".

Richter taucht mehrmals auf. Zuerst als hysterisch nervöse Begleitperson seiner Geliebten Elisabeth. Sie fliegen in eines der Krisengebiete dieser Welt. Elisabeth, um entführte Mitarbeiter ihrer Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" zu befreien. Leo, um im Kulturinstitut einer Frau Rappenzilch vierzehnmal die Frage zu beantworten, woher er seine Ideen nehme, neunmal, ob er vormittags oder nachmittags arbeite, und um achtmal die Story zu ertragen, auf welcher Reise jemand ein Buch von ihm gelesen habe.

Elisabeth beobachtet diesen Mann, seine Flugangst, seine maßlosen Ansprüche ans Hotelpersonal - und seine hochkonzentrierte Art, die Welt zu betrachten. Sie liebt diesen Mann und hat Angst, sich in seinen Geschichten wiederzufinden.

Kehlmann spielt gekonnt mit realer und fiktiver Ebene. Erdachte Figuren treten plötzlich in Kontakt mit dem Schriftsteller. Wie Rosalie, die ihre tödliche Krankheit nicht akzeptieren möchte, die - nachdem alles für ihren Selbstmord vorbereitet ist - ihren Schöpfer anfleht, sie einfach jung und gesund werden zu lassen. Und so geschieht es, der Verfasser ändert das Ende. Auch Elisabeth trifft bei einem ihrer Auslandseinsätze plötzlich Lara, eine Figur aus Leos literarischen Welten.

Es macht Spaß Kehlmanns gedanklichen Experimenten zu folgen, seinen Figuren immer wieder zu begegnen, sie aus anderen Blickwinkeln zu betrachten. Mal stehen sie im Mittelpunkt, mal sind sie ihm eine Randerscheinung wert. Immer wieder gerät ihr Leben aus der Bahn, ausgelöst durch so banale Dinge wie einer falschen Handynummer, die einen Ingenieur plötzlich zu einem umschwärmten Schauspieler machen.

Bis dieser selbst glaubt, in eine neue Realität eingetreten zu sein. Doch immer, wenn man diesen Figuren nahe kommt, sich auf ihre Sicht einlässt, wechselt Kehlmann Raum und Zeit und auf virtuose Weise seinen Schreibstil, den er der Sprache seiner Protagonisten anpasst. Der Schriftsteller beweist wieder einmal handwerkliches Können sowie gute Ideen. Doch die nötige Tiefe eines großen Romans lassen seine 203 Seiten vermissen.

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