Martin Walser wird 85: Der Streitbare Sprachvirtuose

Martin Walser gilt als einer der wichtigsten lebenden Schriftsteller. Am Samstag wird er 85.

Überlingen. Mit Schubladen und Etiketten kennt Martin Walser sich aus. Als was ist der Schriftsteller nicht schon alles bezeichnet worden — er galt als Kommunist, als Nationalist, und immer wieder stand auch das Wort Antisemitismus im Raum.

Es sind Vorwürfe, die den Autor heute noch kränken. „Versuche, mich zu erledigen“, nennt er sie. Das Schlimme dabei sei, dass man ständig in eine Verteidigungsrolle gedrängt werde. „Man fühlt sich angegriffen. Aber ich weiß, dass man durch nichts so dumm wird, wie durch Verteidigung.“

Martin Walser, der am Samstag 85 Jahre alt wird, ist einige Male angeeckt in seinem Leben. Für provokante Äußerungen zu aktuellen Diskussionen hat er öfter heftige Hiebe bezogen. Als er sich gegen den Vietnamkrieg ausspricht, wird er als Kommunist bezeichnet. 1988 bekennt Walser, er könne sich nicht mit der deutschen Teilung abfinden. Daraufhin wird er, der in den 60er Jahren noch Wahlkampf für die SPD gemacht hatte, in die rechtskonservative Ecke gedrängt.

1998 löst er bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels mit seiner Kritik an einer „Instrumentalisierung von Auschwitz“ eine monatelange Kontroverse aus. Und immer wieder geht es auch um sein schwieriges Verhältnis zu dem Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki.

Den erkennen viele im Protagonisten seines 2002 erschienenen satirischen Roman „Tod eines Kritikers“ wieder. Der Herausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, Frank Schirrmacher, weigerte sich damals, den Text vorab zu drucken. Sein Argument: Walser spiele mit „antisemitischen Klischees“.

Durch Provokation, durch Einmischen, durch konsequente Stellungnahme hat der Schriftsteller über die Jahre hinweg einige Weggefährten verloren. Und man sieht ihm an, dass das noch immer schmerzt.

„Das bleibt unangenehm. Man denkt nur nicht mehr dauernd daran.“ Wenn man ihn fragt, ob die Zeit alte Wunden heilen kann, beispielsweise auch den Zwist mit Reich-Ranicki, schweigt er.

Walser verlor als Zehnjähriger den Vater, im Zweiten Weltkriegwar er Flakhelfer, 1945 geriet er in amerikanische Gefangenschaft. Nach dem Abitur studierte er Literatur, Geschichte und Philosophie in Regensburg und Tübingen.

Von 1949 bis 1957 arbeitete er als Reporter und Hörspielautor beim Süddeutschen Rundfunk. Bereits mit zwölf Jahren schreibt er erste Gedichte — inspiriert von Büchern, die er in jungen Jahren verschlungen hat. Hölderlin, Schiller, Swedenborg nennt er.

Den großen Durchbruch schafft Walser mit „Ein fliehendes Pferd“, jenem Roman, der das Aufeinandertreffen zweier ehemaliger Schulfreunde beschreibt. Inzwischen hat der Sprachvirtuose fast alle großen Literaturpreise erhalten. Er gilt als einer der wichtigsten zeitgenössischen Schriftsteller im Land, sein Werk umfasst zahlreiche Romane, Erzählungen, Theaterstücke, Lyrik, Essays und Aufsätze.

Eine seiner „Formeln“ für das Schreiben nennt er selbst die Entblößungs-Verbergungs-Technik. „Das ist dasselbe, was Kinder machen, die Prinzessinnen oder Räuber als Puppen haben“, sagt er. „Sie können sich dadurch auf eine Art ausdrücken, wie sie es ohne die Puppen nicht könnten.“

So gehe es ihm auch, sagt Walser. „In Rollen kannst du viel weiter gehen als in der sogenannten Realität, da bin ich mir sicher.“ Wer dann nachhakt, wie viel Walser denn in Walsers Figuren steckt, den sieht der Autor mit blitzenden Augen unter den buschigen Brauen belustigt an: „Ja. Das frage ich mich auch.“

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