Heilsame Zeitreise: Ashdowns Roman „Sunday Girl“

Frankfurt/Main (dpa) - Klassentreffen sind immer Reisen in die Vergangenheit und werden vor allem von einem Satz beherrscht: „Weißt du noch?“ Ob Sarah noch alles wissen will, was sie in ihrer Schulzeit in East Selton erlebt hat, ist zweifelhaft.

Und doch zieht es sie in die englische Kleinstadt zurück, die sie vor 24 Jahren von einem Tag auf den anderen verlassen hat. Warum das „Sunday Girl“, so der Titel des neuen Romans von Isabel Ashdown, der Einladung zum Jahrgangstreffen folgt, ist ihm selbst nicht klar. Zumindest am Anfang.

Ein wenig fürchtet Sarah schon das Aufeinandertreffen mit bestimmten Leuten. Und so ist sie froh, dass John - ein treuer Freund aus Jugendtagen - verspricht, an ihrer Seite zu bleiben. Die Erinnerungen sind überwältigend und brechen über sie herein, kaum dass sie das Schulgelände betreten hat. Noch bevor es ein Wiedersehen mit ihren ehemals besten Freundinnen Kate und Tina gibt, erlebt sie gedanklich mit den beiden noch einmal das letzte Schuljahr. Und das hatte es in sich.

Obwohl es für Sarah kein leichter Gang wird, hat diese Zeitreise letztendlich therapeutische Wirkung. Dazu gehört unbedingt die Auseinandersetzung mit den Männern in ihrem Leben, angefangen bei den Vätern bis hin zu den Freunden. Am Ende ist ihr klar: Die Fahrt zum Klassentreffen war eine Art göttliche Fügung. Die verworrenen Fäden aus Familien-, Freundschafts- und Beziehungsbanden entwirren sich allmählich.

Ashdown - Jahrgang 1970 - schlüpft mit viel Einfühlungsvermögen in die Seele 15- und 16-jähriger Mädchen. Sie spricht deren Sprache und gibt das Lebensgefühl der 80er Jahre gekonnt wieder. Ihre Heldinnen haben Kontur, und ihr Gefühlsreichtum zeigt sich im sehnsuchtsvollen Frühlingserwachen ebenso wie in der Albernheit und Boshaftigkeit postpubertierender und konkurrierender Mädchen auf dem Weg zum Erwachsenwerden.

Sarahs Vater bleibt in der Beschreibung leider ein wenig blass, besser getroffen ist Kates Vater, der windige Jason. Vergleicht man die männlichen Figuren mit denen aus Ashdowns erstem Roman „Am Ende eines Sommers“ (2010), so sind ihr letztere insgesamt besser gelungen. Auch die Tiefe und Eindringlichkeit ihres Erstlings erreicht sie mit „Sunday Girl“ nicht. Dennoch ist es ein unterhaltsames Buch, humorvoll und in einer sehr schönen Sprache geschrieben.

(Isabel Ashdown: Sunday Girl, Eichborn Verlag, 315 Seiten, 19,95 Euro, ISBN 978-3-8218-6137-1)

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