Ein Jude als SS-Maskottchen

Nachdem die Nazis seine Familie ermordet hatten, überlebte der sechsjährige Alex Kurzem in Uniform.

Melbourne. Als Alex Kurzem 1949 in Australien ankam, hatte er nur eine kleine braune Aktentasche bei sich. Doch der damals 14-jährige Junge aus Weißrussland trug schwer an seinen Erinnerungen, sagte er jetzt dem britischen Sender BBC.

Kurzem war erst fünf Jahre alt, als er aus einem Versteck heraus sah, wie die Nazis im Oktober 1941 seine jüdische Familie erschossen. Danach schlug er sich allein durch, bettelte an Haustüren um Brot und nahm toten Soldaten die Kleidung ab. Er war sechs Jahre alt, als er selbst mit anderen Kindern erschossen werden sollte. Doch Alex sprach einen aus dem Soldatentrupp, baltische Handlanger der Nazis, an: "Könntest du mir ein Stück Brot geben, bevor du mich tötest?"

Der Unteroffizier war gerührt, ging mit dem Jungen hinter die Scheune und prüfte nach, ob er beschnitten und folglich Jude ist. "Nicht gut, nicht gut", habe dieser Soldat gemurmelt, erzählte Kurzem. Dennoch nahm er den Jungen mit und erzählte seinen Kameraden, er wäre ein russisches Waisenkind.

Bei den Soldaten, die später zu einer lettischen Einheit der SS wurden, ist der Junge als Maskottchen höchst willkommen. "Sie gaben mir eine Uniform, ein kleines Gewehr und eine kleine Pistole", sagte Kurzem.

Sogar die tönende Wochenschau lichtete laut BBC den hübschen Jungen für Propagandazwecke ab: als "den jüngsten Nazi des Reiches". Neben kleinen Aufgaben - Schuhe putzen, Wasser holen, Feuer machen - soll er vor allem eines: Die Soldaten unterhalten, "damit sie sich ein bisschen besser fühlen".

Er wurde von der SS aber auch als Köder an den Todeszügen nach Auschwitz und Treblinka eingesetzt. Der Junge musste Schokolade verteilen, damit Juden williger in die Viehwaggons stiegen. Kurz vor dem Ende des Krieges 1944 bringt ihn der Kommandant der SS-Truppe bei einer lettischen Familie unter.

Fünf Jahre später schaffte Alex Kurzem den Sprung nach Australien. Er arbeitete erst im Zirkus, wurde später Fernsehtechniker in Melbourne. Seine Kriegserlebnisse behielt er jahrzehntelang für sich. Erst 1997 erzählte er sie seiner australischen Frau Patricia und den Kindern. Mit seinem Sohn Mark arbeitete er nach und nach die Vergangenheit auf, reiste in seine alte Heimat. Jetzt kennt der 72-Jährige endlich auch seinen echten Namen: Ilya Galperin.

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