Tod mit 83 Ein Autor für alle - Peter Härtling gestorben

Frankfurt/Main (dpa) - Der Junge heißt Djadi und kommt aus dem zerstörten syrischen Homs. Als unbegleiteter Flüchtling findet er den Weg nach Deutschland - und hier trotz aller Widrigkeiten auch eine neue Heimat.

Tod mit 83: Ein Autor für alle - Peter Härtling gestorben
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Auch mit Hilfe eines pensionierten Lehrers, den Djadi in einer Frankfurter WG kennenlernt.

Das im vergangenen September veröffentlichte Kinderbuch von Peter Härtling, der mit 83 Jahren am Montag in Rüsselsheim, nahe seinem langjährigen Wohnort Mörfelden-Walldorf, starb, war sein letztes. Jetzt ist es zu seinem besonderen Vermächtnis geworden. Denn auch Härtling war in jungen Jahren Flüchtling - und musste in der neuen schwäbischen Umgebung mit dem Trauma eines Krieges zurechtkommen. Auch Härtling fand 1946 einen Mentor, mit dessen Hilfe er den Weg zum Journalisten und späteren Autor fand.

Mit mehr als 25 Kinder- und Jugendbüchern sowie rund 30 Romanbiografien und anderen Prosastücken hat er sich eine gewaltige Lesergemeinde erschlossen, die alle Generationen erfasst. Der vielfach ausgezeichnete Härtling gehörte damit zu den produktivsten Autoren der Nachkriegszeit. Seine größten Fans hatte Härtling aber unter Kindern, die den „Hirbel“ (1975) oder das Buch „Ben liebt Anna“ (1979) lieben. Rund 20 Schulen in Deutschland sind allein nach Peter Härtling benannt.

Die Bücher Härtlings, der als Heranwachsender schwere Schicksalsschläge verarbeiten musste, sind ohne das Thema Erinnerung nicht vorstellbar. Es bedeutete für ihn die Auseinandersetzung mit der Geschichte und der politischen Vergangenheit. Der Zweifel an der Ehrlichkeit der Erwachsenen wurde für ihn zum „Grundschock“, wie er es einmal genannt hat. Nach 1945 gaben sich dieselben Menschen plötzlich demokratisch, die vorher noch einen Diktator bejubelt hatten.

Der 1933 in Chemnitz geborene Härtling ist zum Leidwesen seines Vaters als Zehnjähriger im Jungvolk selbst ein kleiner Nazi gewesen, wie er freimütig eingeräumt hat. Mit der Familie nach Mähren übergesiedelt, flüchtet er nach Ende des Zweiten Weltkriegs zusammen mit seiner Mutter vor der Roten Armee. Der Vater, ein Rechtsanwalt, stirbt 1945 in russischer Gefangenschaft.

Über Österreich kommt die Familie nach dem Zweiten Weltkrieg ins schwäbische Nürtingen. Die Mutter nimmt sich dort 1946 das Leben. Härtling bleibt mit seiner jüngeren Schwester bei Verwandten zurück. Neben dem Deutschlehrer und einem Pfarrer wird der frühere Kommunist und Maler Fritz Ruoff (1906-1986) zur Vaterfigur für den Jugendlichen in Nürtingen.

Härtling arbeitet zunächst als Journalist in seiner schwäbischen Wahlheimat, bevor er 1967 Cheflektor beim S. Fischer Verlag in Frankfurt wird. 1974 lässt er sich als freier Schriftsteller nieder. In „Nachgetragene Liebe“ (1980) versucht er, das schwierige Verhältnis zu seinem Vater und die Aufarbeitung des Kriegs und der politischen Vergangenheit auch jungen Menschen nahezubringen.

Seinen Ruf als Romanbiograf großer Künstler erwirbt er mit dem 1976 erschienenen Buch „Hölderlin“ - der große Dichter der Romantik verbrachte seine Kindheit und Jugend in Nürtingen. Seitdem hat Härtling über Schubert, Schumann, Mozart, E.T.A. Hoffmann und zuletzt Verdi (2015) geschrieben. Auch mit vielen Gedichtbänden ist er bekanntgeworden.

Über die vielen Briefe von Kindern, die Härtling bis zuletzt erhielt, hat er sich nach seinen Worten immer sehr gefreut. Deren Optimismus und Leidenschaftlichkeit gab Härtling, der sich selbst als Melancholiker bezeichnete, Kraft. Von der „geschwätzigen“ Politik hatte sich der Autor, der sich lange im Kampf gegen die NATO-Nachrüstung und zugunsten der Ökologiebewegung engagierte, abgewendet.

Härtling, seit 1959 mit einer Psychologin verheiratet und Vater von vier erwachsenen Kindern, lebte in Mörfelden-Walldorf bei Frankfurt. In den vergangenen Jahren steckte er einen Herzinfarkt und Gehirnschlag weg. Rastlos arbeitete er weiter und bewahrte sich - wie er zuletzt in „Djadi, der Flüchtlingsjunge“ bewies - sein altes Kämpferherz. Die anti-islamischen Parolen der Rechtspopulisten erinnerten ihn an die Zeit nach 1945 und seine eigene Erfahrungen als Flüchtling, wie Härtling vor einem knappen Jahr der Zeitschrift „chrismon“ sagte. „Da bin ich wieder fremd.“

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