Ecos brisanter Roman „Der Friedhof in Prag“

Rom (dpa) - Drei Jahrzehnte nach seinem weltweiten Durchbruch als Romancier mit dem opulenten Werk „Der Name der Rose“ schlägt Umberto Eco wieder zu: Im Oktober 2010 im Original erschienen, kommt „Der Friedhof in Prag“ von dem piemontesischen Vielschreiber jetzt auf Deutsch heraus - ein 528 Seiten dickes, ganz spezielles Meisterwerk.

„Der Friedhof in Prag“ erscheint am Samstag (8. Oktober).

Wieder ist es ein historischer Roman, diesmal prall gefüllt mit Details aus dem 19. Jahrhundert. Im Mittelpunkt stehen zynische Fälscher, politische Strippenzieher, dazu gewissenlose Geheimdienste und eine gegen Juden gerichtete Verschwörungssaga.

Mit seinem wieder gekonnt aufgeblätterten historischen Panorama ist der „Bestsellerprofessor“ (wie ein Dokumentarfilm über Eco heißt) vollends in seinem ureigenen Element. Italiens Kulturwelt diskutierte vor einem Jahr durchaus kontrovers dieses Neue in einem Roman des 79-jährigen Ex-Professors: Sein italienischer Protagonist Simone Simonini, einzige Kunstfigur des Werkes, ist ein grandioser Fälscher vor allem von „Dokumenten“, mit denen er leidenschaftlichen Hass auf Juden schürt. Ein Antisemit, Frauenhasser und Mörder als zentrale Romangestalt - das ist brisant.

„Ich bin fasziniert vom Irrtum, von der Unaufrichtigkeit und von der Dummheit“, sagt der in Mailand lebende Schriftsteller, Philosoph, Medienwissenschaftler - und eingefleischte Gegner des italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi.

Und weil es ein Werk von Umberto Eco ist, kommt „Der Friedhof in Prag“ trotz einiger Längen nicht als verstaubtes Historienbuch daher. Es ist zwar ziemlich sperrig, lässt den Leser aber sofort an die gerade wieder wildwuchernden Verschwörungstheorien denken, etwa an angebliche geheime Hintergründe des Attentats von „09/11“.

Mit einem eleganten Kunstgriff führt Eco in das wirre Leben des Hauptmanns Simonini ein. Dieser versucht nach einem Gedächtnisverlust seine wohl verdrängte Vergangenheit als professioneller Urkundenfälscher und Spion zu „rekonstruieren“.

Er hat mehrere Menschen auf dem Gewissen, forciert jene Affäre um den jüdischen Hauptmann Dreyfus, die Paris politisch erschüttern sollte, und werkelt derweil an seinem Hauptwerk über eine angebliche Weltverschwörung der Juden: „Die Protokolle der Weisen von Zion“.

Alle Personen in dem düsteren Umfeld des italienischen Hauptmanns sind dabei „real“, der Autor hat wieder alle historischen Fundgruben aufgetan. So braucht er auch nur anzudeuten, zu welch schlimmem Ende gerade dieses üble Verschwörungsdenken gegen die Juden dann in der Nazi-Zeit führte. Und sogar der Holocaust konnte solches Verschwörungsdenken nicht bremsen.

Eco musste sich einige Kritik gefallen lassen. „Il Cimitero di Praga“ sei missverständlich, meinten jüdische Stimmen, während die Vatikanzeitung „L'Osservatore Romano“ einen „Voyeurismus des Bösen“ ausmachte. Der Autor antwortete wie immer gelassen: „Mein Buch ist in sich eine Verurteilung des Antisemitismus, es gibt darin eine klare moralische Position“, entgegnete er, während er seinen sechsten Roman gerade in einer römischen Feltrinelli-Buchhandlung signierte. „Es ist doch so, dass eine negative Person offenkundig fasziniert“, sagt Eco.

Das Böse zieht eben mehr an als das Gute, basta. Recht hat Eco, denn er führt seine Leser an den Abgrund unserer Moderne, hält uns einen Spiegel vor, klärt auf. „Ja, um es offen zu sagen, er (Simone Simonini) ist immer noch unter uns“, sagt er in einem Nachwort zu seinem Roman, der Debatten auslöst. Was will er mehr, dieser große Erzähler und Weltschriftsteller? Das Buch, das in etwa 40 Sprachen erscheinen soll, liefert wie bereits „Der Name der Rose“ durchaus genügend Stoff für einen erschreckend beunruhigenden Film.

Umberto Eco

Der Friedhof in Prag

Hanser Verlag, München

528 Seiten, 26 Euro

ISBN 978-3-446-23736-0

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