Christa Wolf - Abschluss eines Schreibexperiments

Die Schriftstellerin protokollierte über Jahre einen Tag in ihrem Leben — ihr Mann Gerhard hat das Ergebnis jetzt herausgegeben.

Düsseldorf. Maxim Gorki schlug einst vor, einen beliebig gewählten Tag im Jahr möglichst genau festzuhalten — und zwar immer den 27. September. Vermutlich ist niemand dieser Anregung so beharrlich gefolgt wie Christa Wolf. Von 1960 bis in ihr Sterbejahr 2011 protokollierte die ostdeutsche Autorin ihren „Tag im Jahr“. Die Aufzeichnungen der ersten vier Jahrzehnte erschienen bereits 2003, nun hat ihr Ehemann Gerhard Wolf die Einträge von 2001 bis 2011 posthum herausgegeben — der bewegende Abschluss eines einmaligen Schreib- und Lebensexperiments.

Lange nur für Schublade geschrieben, stellen die gesammelten Tagesprotokolle im Rückblick eines ihrer Hauptwerke dar. Als Zeugnis jahrzehntelang gelebter Zeitgenossenschaft ermöglichen sie dem Leser eine intensive deutsch-deutsche Zeitreise und erzählen zugleich eine berührende Schriftstellerbiografie in Fragmenten. Wobei programmgemäß scheinbar banale Alltage neben geschichtsträchtigen Tagen stehen. Mit einem solchen beginnt nun die Fortsetzung.

16 Tage nach Nine-Eleven empfindet die Autorin den Terror als einen „Riß im Gewebe der Zeit“ — und den so verletzlichen, von ihr oft beschriebenen Alltag mit all seinen Ritualen kostbarer denn je. „Darüber wäre zu schreiben, denke ich. Doch wozu?“ Die Frage nach dem Sinn ihres Schreibens stellt sich Christa Wolf in ihren letzten Jahren immer wieder. Ihr letzter großer Roman „Stadt der Engel“ droht zu scheitern, der gigantische Stoff will und will nicht zur Form gerinnen.

Umso wichtiger das Zusammenleben mit ihrem Mann, der einkauft, kocht, am Ende seine Frau pflegt. Geheiratet hatten die beiden 1951 — dass Christa Wolf ihren großen Lebensroman „Stadt der Engel“ am Ende doch noch vollenden konnte, lag nicht zuletzt an dieser Liebe.

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