Ann Lindells letzter Fall: „Offenes Grab“

Berlin (dpa) - Der schwedische Schriftsteller Kjell Eriksson gilt als „Krimiautor der kleinen Leute“. Seine Helden sind die Vergessenen, die Randständigen - Landarbeiter, Einwanderer, Kleinkriminelle.

In seinem neuesten und wohl auch letztem Buch aus der Reihe um die Kommissarin Ann Lindell verlässt der Meister des psychologischen Kriminalromans jedoch dieses Milieu. „Offenes Grab“ spielt in der Welt der Reichen und Erfolgreichen.

Schauplatz ist ein vornehmes Villenviertel in der Universitätsstadt Uppsala. Hierhin haben sich renommierte Professoren und Dozenten in den wohl verdienten Ruhestand zurückgezogen. Sie vertreiben sich die Zeit mit der Pflege ihrer Gärten und dem Schreiben von Kritiken über Bücher, die kein Mensch liest. Nebenbei belauern sich die alten Herren mit Vorliebe gegenseitig. Einer hat sogar einen gläsernen Turm, von dem aus er die Nachbargrundstücke im Auge behalten kann.

Plötzlich gerät dieses beschauliche Leben aus den Fugen. Der inzwischen fünfundachtzigjährige Medizinprofessor Bertram von Ohler, Mitglied einer ebenso altehrwürdigen wie hochmütigen schwedischen Adelsfamilie, bekommt überraschend den Nobelpreis verliehen. Doch anders, als er erwartet, löst diese Nachricht bei seinen Nachbarn keine reine Freude aus. Vor allem sein früherer Kollege, der Dozent Gregor Johansson, reagiert säuerlich. Später erfahren wir, dass der Virologe jahrzehntelang zusammen mit von Ohler geforscht hat und sich nun um seine Lorbeeren gebracht sieht. Auch sonst treten allerhand Neider auf den Plan. Die Welt der Wissenschaft als Wespennest.

Eines Tages wird ein dicker Stein auf das Hausdach des Nobelpreisträgers geworfen und ein Totenkopf landet in seinem Briefkasten. Außerdem taucht ein Gärtner auf, der sich auf verdächtige Weise in einem Nachbargarten zu schaffen macht. Er freundet sich ausgerechnet mit dem neidischen Dozenten Johansson an. Und die alte Haushälterin des Professors scheint auch nicht so loyal zu sein, wie sie zunächst den Eindruck erweckt. Sie hadert mit ihrem autoritären Arbeitgeber und trägt ihm irgendwelche undurchsichtigen Dinge aus der Vergangenheit nach.

Wer die Bücher von Kjell Eriksson kennt, der weiß, er schreibt Krimis der anderen Art. Blutige Gewalt- und Actionszenen wird man hier kaum finden, auch keine durchgeknallten Serienmörder. Dafür fantastische Milieuschilderungen und stimmige psychologische Porträts. Dabei ist ihm durchaus auch eine komische Komponente zu Eigen, wie die gelungene Schilderung griesgrämiger Nachbarschaft alter Männer zeigt. Ein besonderes Schmankerl sind zudem die liebevollen und kenntnisreichen botanischen Ausführungen des gelernten Gärtners Eriksson.

Ist es schlimm, dass die Kommissarin Ann Lindell erst auf Seite 132 auftaucht und so ziemlich am Ende des Buches ein Mord geschieht? Nein, denn es tut der Spannung gar keinen Abbruch. Eriksson entwickelt diese aus dem Verhältnis der einzelnen Personen zueinander und der düsteren Geschichte, die sie miteinander verbindet. Nach und nach werden Risse in der bürgerlichen Fassade, ja wahre Abgründe sichtbar. Und am Ende geht es Eriksson dann doch wieder um die Geschichte der kleinen Leute, ihre Abhängigkeit von den Reichen, wie sie ausgenutzt, schikaniert und ruiniert werden. Das Ende des Romans lässt Raum für Spekulationen. Schade, dass dies Ann Lindells letzter Fall sein soll.

Kjell Eriksson: Offenes Grab, Deutscher Taschenbuch Verlag, München, 320 Seiten, 9,95 Euro, ISBN 978-3-423-21339-4

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