150 Jahre alt Bing! Eine Ode an die Schreibmaschine

Die Schreibmaschine gehört zum 20. Jahrhundert wie der Röhrenfernseher und der Plattenspieler. Wir haben unsere schönsten Erinnerungen aufgeschrieben.

Die Schreibmaschine wird 150 Jahre alt. Zum alten Eisen gehört sie aber trotzdem noch nicht.

Die Schreibmaschine wird 150 Jahre alt. Zum alten Eisen gehört sie aber trotzdem noch nicht.

Foto: Caroline Seidel

Berlin. Sie heißen Erika, Gabriele, Olympia oder Valentine: Schreibmaschinen gehören zum 20. Jahrhundert wie der Röhrenfernseher und der Plattenspieler. 48 Tasten und ein Ratschen, Hämmern und Klicken, wie es keine lichtgraue Computertastatur erzeugen kann. Vor genau 150 Jahren — am 23. Juni 1868 — meldete die US-Rüstungsfirma Remington die erste industriell gefertigte Maschine, wie wir sie kennen, zum Patent an. Wir haben unsere Erinnerungen an die Schreibmaschine zusammengetragen:

Meine ersten Erfahrungen mit einer Schreibmaschine habe ich wohl irgendwann Mitte der 90er Jahre gemacht. Sie sind aber wahrscheinlich weit unprofessioneller als die einiger Kollegen. Irgendwann als Knirps entdeckte ich das alte Gerät, das meine Mutter wohl als eine Art Dekostück aufgestellt hatte. Wage Erinnerungen lassen Bilder von wildem Rumgetippe aufsteigen. Das machte ich gerne so schnell, dass sich die einzelnen „Buchstaben-Klötzchen“ (Korrekte Bezeichnung wohl Typenhebel) übereinander verkeilten und per Hand gelöst werden mussten. Bis heute habe ich dafür nach keiner tiefenpsychologischen Erklärung gesucht. Ich tippe jedenfalls jetzt langsamer — die Schreibmaschine habe ich trotzdem noch. Sebastian Paschold

Die alte Schreibmaschine auf dem Schreibtisch meiner Mutter war ein mechanisches Wunderwerk — und ein Erziehungsmittel. Die größte Kinderfreude: möglichst viele Tasten gleichzeitig drücken und dann fasziniert verfolgen, wie sich die Typenhebel ineinander verhaken. Aber irgendwie hatte der entstandene Wirrwarr auch eine pädagogische Wirkung: Ein Buchstabe, das habe ich schon als Kind begriffen, will mit Bedacht gesetzt sein. Bei dem imposanten Erbstück war das schon allein durch den nötigen Kraftaufwand bedingt. Später, als ich im Studium einen Zehn-Finger-Schreibkurs belegte, galt bereits die elektrische Schreibmaschine als Teufelszeug, weil sie einem das Schreiben zu leicht machte und darum die Technik versaute. Es folgte der schrittweise manuelle Abstieg über Computer und Displays bis in den Horrorkeller der Autokorrektur. Seither habe ich bei jedem neuen Buchstabenmüll, der mir mal wieder auf elektronischem Wege übermittelt wird, sofort ein Bild im Kopf: den Strauß verhakter Typenhebel.

Ekkehard Rüger

Es muss der Horror gewesen sein: Am Tag vor Abgabe der Diplomarbeit stellt die junge Studentin fest, dass sie zwei Exemplare liefern muss. Keine Kopien, sondern Originale. Heute kein Problem — einfach zwei Exemplare ausdrucken und fertig. Damals, in den 80ern, ist das eine echte Herausforderung. Denn die Abschlussarbeiten müssen getippt werden. Also setzt sich die ganze Familie hin und tippt. Die ganze Nacht lang. Buchstabe für Buchstabe. Zeile für Zeile. Seite für Seite. Manche Seite muss mehrfach begonnen werden. Denn diese in unserer Familie gern weitergetragene Geschichte über das Ende des Studiums eines der Familienmitglieder spielt in der Prä-Elektro-Schreibmaschinen-Ära. Jeder Fehler landet auf dem Papier. Sofort. Ratsch. Und neu. . .

Natürlich hat die Familie die Aufgabe bewältigt. Die junge Dame schloss das Studium mit Bravour ab. Ich selbst soll mich Jahre später an diese Geschichte erinnern: In jenem Moment nämlich, als ich meine erste Hausarbeit an der Uni abgeben muss. Zwei Exemplare. Und ich brauche nichts anderes zu tun, als am PC zwei Mal auf Drucken zu klicken. Hoch lebe das Office-Paket für Windows 95. Christian Gerstenberger

Ich erinnere mich noch gut an einen früheren Chef, der, als alle um ihn herum auf Computer umstiegen, immer noch die Vorzüge der soeben gekauften elektrischen Schreibmaschine pries: Kein Tipp-Ex brauche er mehr, schwärmte er, da doch die letzten paar Zeilen des Geschriebenen im kleinen Display zu sehen und zu korrigieren waren. Genial. Was brauche er da einen Computer. Außerdem sei sein High-Tech-Gerät ja wohl so was Ähnliches. Auch in den Sound der Tastatur hatte er sich offensichtlich verliebt.

Ein Argument, das viele Jahre später wieder die Runde machen sollte, erwähnte er damals nicht: Dass einen die Schreibmaschine vor Datenklau schützen kann. Vor Trojanern, die auf dem heimischen Computer installiert werden und Dritte mitlesen lassen. Auch Geheimdienste sollen ja vertrauliche Schriftstücke nicht am Computer, sondern mit Schreibmaschinen verfassen. Und sogar im Bundestags-Untersuchungsausschuss zur NSA-Affäre wurde 2014 kurzzeitig darüber nachgedacht, die Kommunikation per Schreibmaschine sicherer zu machen. Mein Ex-Chef ist längst gestorben. Aber vielleicht war er seiner Zeit ja weit voraus. Peter Kurz

Wer hat sich eigentlich die Anordnung der Tasten ausgedacht? Die Idee für das Layout wird dem Journalisten und Erfinder Christopher Latham Sholes zugeschrieben: Schon 1870 soll er an den Positionen herumgefeilt haben. Zu der Anordnung kam es letztlich aufgrund eines gravierenden technischen Mangels: Die Typenhebel verhakten sich schnell ineinander, daher durften häufig benutzte Buchstaben nicht nebeneinander liegen. So willkürlich diese Anordnung heute anmutet, so wild sind auch die Schreibstile, die meisten hacken einfach drauf los. Immerhin: Ein Kollege kann mit zwei Fingern schneller tippen als ein anderer mit zehn Fingern. Nur die wenigsten haben in einem Kurs mit zehn Fingern zu schreiben gelernt.

Meine Mutter gehört dazu: Sie arbeitete in den 1960er Jahren in der Personalabteilung der ehemaligen Neusser Schraubenfabrik Bauer & Schaurte. Und man kann es sich so gut vorstellen, wie sie streng am Schreibtisch saß: Im akkuraten Kostümchen, mit gewagter Hochschlagfrisur à la Bardot, tippte sie Briefe, Beurteilungen und Rechnungen in ihr Arbeitsinstrument. Und dann kam er herein: Berti Vogts, damals Dreher bei Bauer & Schaurte, später Fußballweltmeister.

Und irgendwie muss er beeindruckt gewesen sein, erzählt meine Mutter bis heute gern: Denn nur schüchtern traute er sich ins Büro, holte sich seine Lohntüte — und war genauso schnell wieder verschwunden. Klapper, ratsch, ping — und weiter ging’s auf der Maschine. Ein schöner Zufall: Meine Mutter wird heute — genau auf den Tag halb so alt wie die Schreibmaschine. Glückwunsch! Ellen Schröder

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