Kunstereignis Biennale: Deutschland räumt ab - zweimal Goldener Löwe

Das Kunstereignis am Canal Grande ist eröffnet. Die Besucher haben bis 26. November Zeit, um Lebenskunst, Aktionen, Malerei und Videos von 200 Künstlern am Canal Grande hautnah zu erleben.

Kunstereignis: Biennale: Deutschland räumt ab - zweimal Goldener Löwe
Foto: Helga Meister

Venedig. Die Biennale von Venedig ist das wichtigste Kunstereignis dieses Jahres. Sie setzt mit ihren neuen gekrönten Häuptern, mit Franz Erhard Walther im Arsenale und vor allem mit Anne Imhof im deutschen Pavillon Maßstäbe. Beide erhielten den Goldenen Löwen, den Oscar gleichsam der bildenden Kunst.

Kunstereignis: Biennale: Deutschland räumt ab - zweimal Goldener Löwe
Foto: dpa/ H.M.

Imhof beweist mit ihrem Team, dass eine Performance mehr ist als nur das Bad eines Künstlers in der Menschenmenge. Künstlerische Aktionen wollen Inhalte, nicht nur Körperbewegungen haben. Das junge Team der Darsteller erobert das Dach, sitzt auf dem Gitterzaun, schiebt sich durch die Menge, und ist doch abwesend und anwesend zugleich in diesem einstigen Nazi-Tempel. Die junge Imhof aus Frankfurt versetzt Böden und Decken, Fenster und Türen, um das Welttheater „Faust“ auf neue, vitale, energiegeladene, auch erotische Ebenen zu heben.

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Foto: dpa / H. M.

Nur einen Laster auf den Kopf zu stellen und das Publikum über eine Stahltreppe emporzuleiten, wie es Erwin Wurm im Österreichischen Pavillon tut, genügt nicht mehr. Wurm lässt auch einen Campingwagen vorfahren, in dessen Fenster das Hinterteil einer Schauspielerin steckt. Das ist für die Akteurin unbequem, für den Besucher vielleicht lustig. Mehr nicht.

Die Performance und das neue Modewort für „Partizipation“ liegen dicht beieinander am Canal Grande. Dabei wird ganz offensichtlich der inzwischen recht abgegriffene Satz von Joseph Beuys, jeder Mensch sei ein Künstler, fast ins Gegenteil verwandelt. Wer das Arsenal betritt und auf den Pfaden der viel gerühmten französischen Kuratorin Christine Macel wandelt, fühlt sich streckenweise wie im Bastelclub. „Kulturelle Bildung“ nennen deutsche Politiker so etwas.

Olafur Eliasson lässt Lampen im Stecksystem aus Hölzern basteln. Die Migranten sind glücklich über diese Beschäftigung und möglicherweise auch über das kleine Geld. Sie streichen Holzstäbe wie in einer Kita grün an und reichen die Stäbe weiter. In einem der folgenden Säle werden verschlissene Jeans von einem Handlanger des Taiwanesen Lee Mingwei mit viel Garn geflickt, wobei die Garnrollen an den Wänden befestigt sind und die Fäden als Gespinst durch den Raum ziehen.

In so einem Gewusel tauchen plötzlich Arbeiten des 77-jährigen Franz Erhard Walther auf, die durch ihre starken Farben fesseln: Prompt wird der Künstler ausgezeichnet. Ob er mit seiner 40 Jahre alten Installation tatsächlich der „beste Künstler“ der Biennale ist, mag dahingestellt sein. Im Milieu dieser Schau ragt der Werksatz zumindest heraus.

Geradezu peinlich wird es bei Ernesto Neto. Bei ihm kann jedermann ein Tänzchen mit Huni-Kuin-Indianern aus dem Amazonasgebiet wagen. Eine Schar lustiger Menschen zieht fröhlich jauchzend wie die Hippies von einst durch die Giardini. Der Brasilianer hat auch ein Zelt aus dehnbarem Polyamid aufgebaut. Man kriecht hinein, landet auf Torfmull und sitzt auf Kissen. Statt die letzten Weisheiten zu erfahren, beginnen die Besucher allerdings sofort, auf ihrem Handy herumzuspielen.

„Viva Arte Viva“ nennt die künstlerische Leiterin der Biennale, Christine Macel, ihre Schau im Arsenal. In Vorgesprächen hat sie von einem „Urschrei“ gesprochen, mit dem sie die Kunst zu neuem Leben erwecken wolle. Das ist ihr eher misslungen. Um sich von ihrem Vorgänger Okwui Enwezor abzugrenzen, der mit Kunst die Globalisierung ändern wollte, setzt sie aufs Handgemachte, Gestickte, Genähte, auch aufs Kuriose. Im Parcours der 120 Künstler wachsen bei Michel Blazy Blumen und Gräser aus Nike-Schuhen heraus, als entwickle die Natur heilbringende Wirkungen. Der Japaner Shimabuku schärft den Deckel eines Laptops, um damit Äpfel zu schneiden. Statt ein Fenster in die digitale Welt zu öffnen, präsentiert er einen Gag. Yee Sookyung zerdeppert chinesische Vasen und baut aus den Scherben einen dekorativen Turm. Leonor Antunes hängt goldene Fäden und Murano-Lampen von der hohen Decke.

Da ist es fast schon eine Erholung, wenn am Ende des Arsenals ein riesiger Berg ausgestopfter bunter Farbbälle die Gäste empfängt. Die 83-jährige Sheila Hicks, die bei Josef Albers und Louis Kahn studiert hat, lässt diesen Stoff-Haufen anstrahlen, so dass jedermann sein Handy für einen Schnappschuss zückt.

Zum Trost gibt es ab und zu dann doch auch hochrangige Kunst. Das gilt etwa für den Syrer Marwan, der einst an der Berliner Hochschule mit den Malerfreunden Georg Baselitz und Eugen Schönebeck studiert hatte und nun einen leicht verspäteten Nachruf erhält. Seine Porträts sind von den Narben der erlebten Zeit, den Erwartungen und Enttäuschungen gezeichnet. Aber sie zeugen auch von einer Kraft der Farben, die er bis ins hohe Alter kultiviert hat.

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