Bauhaus: Architekturgeschichte mitten auf dem Acker

In Krefeld beginnt ein kulturelles Experiment: Einen Sommer lang steht dort ein begehbares Modell von Mies van der Rohe.

Krefeld. Ein Roggenfeld am Rand von Krefeld, ein matschiger Weg führt leicht bergan. Auf der Kuppe taucht plötzlich eine 80 Meter lange Holzkonstruktion im Blickfeld auf, wie eine Fata Morgana, aber eine, die sich noch in der Bauphase befindet. An der architektonischen Sensation, die hier am Sonntag Wirklichkeit werden soll, wird bis zuletzt geschraubt.

Auf dem Egelsberg nahe der A 57 wird einen Sommer lang ein Bauwerk des Stararchitekten Ludwig Mies van der Rohe stehen. Er hat das Golfclubhaus 1930 geplant, aber wegen der Weltwirtschaftskrise nie umgesetzt. Die Pläne, die im Museum of Modern Art in New York erhalten sind, dienen nun als Vorlage für „eine Inszenierung von Architektur“, wie Kuratorin Christiane Lange sagt.

Für 840 000 Euro, die bei Stiftungen und Privatleuten gesammelt wurden, haben Lange und ihre Mitstreiter vom Projekt MIK (Mies in Krefeld) ein begehbares Modell in Originalgröße auf den Acker gestellt, nur 300 Meter Luftlinie vom damals geplanten Standort entfernt.

Der Bau besteht aus Holz und Stahl, der Boden aus Betonplatten oder Kies. Das Clubhaus hat keine Fenster, keine Türen und erst recht keine Inneneinrichtung. Genau das ist der Trick: Es soll skizzieren, was hätte entstehen können in einer Stadt, in der Mies ohnehin bedeutende Bauten wie die Häuser Esters und Lange hinterlassen hat. „Mies 1:1“, wie das Projekt heißt, ist Architekturgeschichte im Konjunktiv.

Beeindruckend sind die räumlichen Bezüge, die dabei deutlich werden: Ein 3,50 Meter hoher Saal öffnet sich zur Landschaft hin, eine große Terrasse nimmt sie regelrecht in Besitz. Faszinierend, wie Mies dem Besucher mit markanten Wänden den Weg verstellt. Wer auf die andere Seite tritt, erlebt die Aussicht mit doppelter Wucht. „Mies’ Pläne sind sehr präzise“, sagt der Genter Architekt Paul Robbrecht, der die Skizzen ausgeformt und in die Wirklichkeit übertragen hat. „Doch manche Details fehlten vollständig, etwa die Fassaden.“

Sie fehlen auch im Modell, das sich bewusst auf Andeutungen beschränkt und den Rest der Fantasie überlässt. „Das Raumerlebnis lässt sich in Reinkultur nachvollziehen“, erklärt Wolf Tegethoff, Direktor des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München.

Das Unbestimmte, Tastende ist eine Stärke dieses Experiments — und es ist zugleich seine größte Schwäche. Es mag am tristen Wetter liegen, am Baulärm, der gestern keine Stille zuließ, oder an den Dixi-Klos, die im Eingangsbereich stehen: Das Modell ist einen Tick zu sehr Rohbau, einen Tick zu wenig ausgestaltete Architektur. Ganz fertig wird es auch bis zur Eröffnung nicht sein, heißt es, was nicht schlimm ist, weil das Unfertige, der Zwischenzustand, Teil des Konzepts ist. Im Oktober wird es abgebaut, und zurück bleibt nur ein Acker.

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