Barbarossa: Vom Nationalmythos zum Konsens-Kaiser

Berlin (dpa) - Friedrich Barbarossa wurde im 19. Jahrhundert zum idealtypischen Herrscher stilisiert.

In der Person des Staufers (ca. 1122 bis 1190) bündelten sich die politischen Sehnsüchte des zersplitterten Deutschlands nach nationaler Einheit, da die Niederlagen gegen Napoleon sowie die Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation verschmerzt werden mussten.

Barbarossa, so ging die Sage, schlafe im Kyffhäuser, werde aber wiederkehren. Die preußisch-deutschen Kaiser versuchten nach der Reichsgründung 1871 die historische Kontinuität zu den Staufern herzustellen: „Die preußischen Nachfahren der schwäbischen Grafen von Hohenzollern würden das Erbe ihrer früheren staufischen Lehnsherren annehmen und deren historischen Auftrag vollenden“, schreibt der Münchner Historiker Knut Görich.

Dieses fragwürdige Geschichtsverständnis im 19. Jahrhundert sei letztlich auch noch darin zu erkennen, „dass der Angriffskrieg gegen die Sowjetunion im Juni 1941 als "Unternehmen Barbarossa" geplant wurde“. Mit Ende des „Dritten Reiches“ war ein solches Geschichtsbild weder in der jungen Bundesrepublik noch in der DDR haltbar. Biografien von Barbarossa wurden rarer.

Der Münchner Historiker Görich hat nun eine neue Biografie Barbarossas vorgelegt. Schon die Auseinandersetzung mit dem Geschichtsbild des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gibt einen sehr aufschlussreichen Einstieg in die Materie. Görichs Biografie ist ein Versuch, das Leben und Wirken des Staufers in der „ursprünglichen Offenheit der historischen Situation“ zu verstehen.

Denn die jüngere Geschichtswissenschaft erkannte, dass sie sich hüten muss, den historischen Ereignissen eine Kausalität modernen politischen Denkens zu unterstellen. So wird mehr und mehr deutlich, „dass die politisch-sozialen Ordnungen der Vormoderne über eine viel offenere Verfassung verfügten und daher in viel stärkerem Maße auf Konsens und Aushandlungsprozesse angewiesen waren“.

Görich zeichnet den Staufer als Mitglied der mittelalterlichen Adelsgesellschaft, die Rang und Ansehen über alles stellt. Daher agiert dieser Friedrich teilweise so, wie es für ihn zweckmäßig, nach modernen Vorstellungen von Staatsräson und pragmatischer Politik aber höchst unvernünftig erscheint. „Vom Rang eines Mannes hing alles ab: das Recht auf Mitsprache, die Chance, überhaupt angehört zu werden“ oder die Fähigkeit, die eigene Herrschaft gegen Rivalen zu behaupten.

Mit im Zentrum der Biografie steht die Auseinandersetzung Barbarossas mit dem Papst. Dieser Konflikt reicht bis zu den Bestrebungen der Salier im 11. Jahrhundert zurück, das Papsttum zu reformieren. Die Reform brachte einen immensen Machtzuwachs für Rom. Ein Bann des Papstes, der eigentlich ein exterritorialer, theologisch-kirchenrechtlicher Akt war und nur einen geistig-moralischen Anspruch formulierte, brachte mit Heinrich IV. erstmals einen deutschen König/Kaiser in existenzielle Bedrängnis. Heinrich konnte die Gefahr 1077 mit dem „Gang nach Canossa“ und der Aufhebung des Exkommunikation im letzten Moment noch abwenden.

Barbarossa wehrte sich während seiner fast 40-jährigen Regentschaft gegen diesen „päpstlichen Anspruch auf Überordnung über jede weltliche Macht“. Deshalb konnte der Staufer auch im vom protestantischen Preußen dominierten Deutschland des 19. Jahrhunderts zum Nationalmythos aufsteigen. Eingedenk der Erfahrungen des Saliers Heinrich aber stellte Otto von Bismarck im Kulturkampf mit der katholischen Kirche an die Adresse des Papstes gerichtet klar: nach Canossa gehen wir nicht.

Das Buch mit seinen vielen Abbildungen und Karten ist sehr lesenswert und bietet auch dem interessierten Laien viel Information.

Knut Görich: Friedrich Barbarossa. Eine Biographie. Verlag C.H.Beck, München, 782 Seiten, gebunden 29,95 Euro, ISBN 978-3-406-59823-4

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