ARD zeigt Antisemitismus-Doku nun doch

Nach der Weigerung von Arte und WDR, die Dokumentation „Auserwählt und ausgegrenzt. Der Hass auf Juden in Europa“ zu zeigen, stellte Bild den Film für einen Tag online. Nun zieht die ARD nach.

Laut Bild ist die Dokumentation rund 200 000 Mal online geklickt worden. Die ARD sendet den Film Mittwochabend um 22.15 Uhr. Screenshot: YouTube

Laut Bild ist die Dokumentation rund 200 000 Mal online geklickt worden. Die ARD sendet den Film Mittwochabend um 22.15 Uhr. Screenshot: YouTube

Köln/München. In der verfahrenen Diskussion um einen 90-minütigen Film der Autoren Joachim Schröder und Sophie Hafner knickt die ARD nun ein: Was Arte und der WDR, bei dem inzwischen die Ausstrahlungsrechte liegen, ihren Zuschauern nicht zeigen wollen, läuft nun Mittwoch um 22.15 Uhr im Ersten. „Ich halte es für richtig, die umstrittene Dokumentation jetzt einem breiten Publikum zugänglich zu machen, auch und trotz ihrer handwerklichen Mängel. Nur so kann sich das Fernsehpublikum ein eigenes Bild machen. Die ja längst stattfindende öffentliche Diskussion bekommt so eine Grundlage, auf der sich jeder sein eigenes Urteil bilden kann. Im Anschluss an die Dokumentation wird auch die Gesprächsrunde bei Sandra Maischberger das Thema aufgreifen“, erklärte ARD-Programmdirektor Volker Herres die Entscheidung in einer Pressemitteilung.

Ursprünglich hatte der WDR von „handwerklichen Mängeln“ nur in Bezug auf seine eigene Abnahme des Films vor der Übergabe an Arte gesprochen. „So wurde etwa das Vier-Augen-Prinzip sowie die Einbindung des Justiziariats nicht beachtet“, hieß es dazu in einer Erklärung. Inzwischen werden den Autoren auch inhaltlich „handwerkliche Mängel“ vorgehalten: „So enthält der Film Ungenauigkeiten sowie Tatsachenbehauptungen, bei denen wir die Beleglage gründlicher prüfen müssen“, teilte der WDR mit. Worum es konkret geht: Die Autoren berichten im Film, dass unter anderem die deutschen Kirchen-Organisationen „Brot für die Welt“ und „Misereor“ auf Umwegen Boykott-Kampagnen gegen Israel finanziert haben. Das Finanzvolumen, das EU, Kirchen und UNO für Organisationen bereitstellen, die israel-feindliche Kampagnen betrieben, soll sich auf jährlich 100 Millionen Euro belaufen.

Arte-Programmdirektor Alain Le Diberder hatte die Ausstrahlung des Films seit April 2017 verweigert, weil er in wesentlichen Teilen nicht dem von der Arte-Programmkonferenz genehmigten Projekt entsprochen habe und ohne Absprache geändert worden sei. Von Anfang an stand der Film offenbar unter keinem guten Stern: Wie Le Diberder in einem offenen Brief an Josef Schuster, den Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, berichtet, hatte der WDR das Projekt bereits im Oktober 2014 als Zweiteiler vorgeschlagen. Im Januar 2015 reichte der WDR demnach eine überarbeitete Fassung des Vorschlags ein: Nun habe es ein 90-minütiges „Roadmovie“ mit dem niederländischen Schriftsteller Leon de Winter als Autor sein sollen; beides, besonders aber der pro-israelische Autor, fielen bei Arte durch.

Im April 2015 segnete Arte dann den dritten WDR-Vorschlag ab. Laut Le Diberder sollte die Doku nun das aktuelle Erstarken des Antisemitismus „u. a. in Norwegen, Schweden, Großbritannien, Ungarn und Griechenland thematisieren, Autor sollte nun neben Joachim Schröder der israelisch-arabische Psychologe Ahmad Mansour sein. Vorgesehen war die Doku für den Sendeplatz „Thema am Dienstag“. Anstelle der für Oktober 2015 angekündigten Lieferung des Beitrags sei dann anderthalb Jahre lang keine Information zum Stand des Projekts durch den WDR erfolgt. Ende 2016 habe Arte dann feststellen müssen, dass der inzwischen fertiggestellte Film nicht dem genehmigten Projekt entsprochen habe: Statt Mansour sei Schroeders Mitarbeiterin als Autorin eingesprungen, die geforderten Länder kämen im Film (gedreht in Deutschland, Frankreich, Israel und Gaza) gar nicht vor. Diesen Film habe der WDR dann im April 2017 ohne Korrektur und weitere Rücksprache abgeliefert — und Arte ihn konsequent zurückgewiesen.

Der WDR hat dieser Darstellung Alain Le Diberders bislang nicht widersprochen. Nach Beginn der öffentlichen Debatte, in der gegen Arte und den WDR der Vorwurf der Zensur erhoben wurde (Argument: Die Sender trauten sich nicht, linken und islamischen Antisemitismus zu thematisieren), stellte Bild.de den Film am 13. Juni für 24 Stunden online. Laut des Portals klickten rund 200 000 Nutzer den Film an.

Warum sich schließlich die ARD entschied, für Arte und den WDR in die Bresche zu springen, ist nicht bekannt. Mit dem Sendetermin verbreitete die ARD die Stellungnahme von WDR-Intendant Tom Buhrow: „Das Thema der Dokumentation war und ist uns wichtig. Und je wichtiger das Thema, desto genauer muss die journalistisch-handwerkliche Sorgfalt sein. Dabei gilt: Sorgfalt vor Schnelligkeit. Wir haben den Film intensiv geprüft und ich habe entschieden, die Dokumentation und unsere handwerklichen Fragezeichen dazu transparent zur Diskussion zu stellen.“

Transparenz ist für den WDR offenbar ein dehnbarer Begriff: Entgegen üblicher Gepflogenheiten wird der Film akkreditierten Journalisten weder im elektronischen Vorführraum von ARD oder WDR zur Voransicht zur Verfügung gestellt. Ob die ARD Mittwochabend die gleiche Fassung wie Bild.de ausstrahlt, ist nicht bekannt. Auf der Sendungs-Seite von „Maischberger“ heißt es zur geplanten Diskussion über die „handwerklichen Mängel“ lediglich: „Zu dieser Sendung sind derzeit leider noch keine weiteren Informationen vorhanden.“

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