„Kein Club der toten Dichter“

Die Else Lasker-Schüler-Gesellschaft hat nach 20 Jahren ihr großes Ziel fast erreicht: ein Zentrum für verfolgte Künste.

Wuppertal. Verehrung allenthalben: Die Dichterin Else Lasker-Schüler ist berühmt für ihre expressionistischen Gedichte wie "Mein blaues Klavier" ("es steht im Dunkel der Kellertür, seitdem die Welt verrohte") und ihre poetischen Scharaden als Prinz von Theben. Nur ihre Heimatstadt tut sich schwer mit ihr. In Elberfeld, das später ein Teil von Wuppertal wurde, wird sie am 11. Februar 1869 geboren, erst kurz vor der Jahrhundertwende zieht sie mit ihrem Mann Berthold Lasker nach Berlin.

Im April 1933 flieht Else Lasker-Schüler vor den Nazis nach Zürich, von dort 1939 nach Jerusalem, wo sie am 22. Januar 1945 verarmt gestorben ist. Ihre Heimatstadt hat für "die größte Lyrikerin, die Deutschland je hatte" (der Kollege und Freund Gottfried Benn) nur den minimalen Gedenk-Standard übrig. Wuppertal benennt eine kleine, krumme Straße nach ihr, auch die Schule, die dort gebaut wird, stellt eine Erinnerungs-Stele in die Innenstadt und eine ins Opernhaus. Und das soll alles sein für dieses Leben, dieses Werk?

Dieser Gedanke trieb auch den Wuppertaler Hajo Jahn um. Im November 1990 gründete er die Else Lasker-Schüler-Gesellschaft. Ihm geht es aber nicht um einen literarischen Zirkel, der sich zum Kaffeeklatsch mit Lyrikdekor trifft. Für den langjährigen Leiter des WDR-Studios in Wuppertal steht der Name Lasker-Schüler stellvertretend für alle verfolgten Künstler. "Wir sind kein Club der toten Dichter", sagt die Journalistin Ulrike Müller, die lange für die Gesellschaft gearbeitet hat. "Verfolgung ist kein Phänomen der Vergangenheit, wie man am Iran und an China sieht." Großes Ziel ist es deshalb, ein Zentrum für verfolgte Künste zu schaffen.

Es wird ein zähes Ringen über fast zwei Jahrzehnte. Jahn (69) arbeitet ehrenamtlich und emsig: "Ich schreibe jede Woche Bettelbriefe." Von der Stadt bekommt die Gesellschaft nur 2400 Euro im Jahr, aber irgendwie treibt man das Geld für die vielen Projekte auf. Zu Tagungen trafen sich Wissenschaftler und Betroffene bereits in Jerusalem, Breslau, Prag, Zürich, Berlin, Catania und Tel Aviv. Die Gesellschaft organisiert für die Schulen der Region regelmäßig Begegnungen mit NS-Verfolgten, stieß auch die kritische Lasker-Schüler-Gesamtausgabe an, die just zum 20-Jährigen vollendet wird.

Im Internet wird das angestrebte Zentrum 2002 virtuelle Realität, es wachsen ein Exil-Archiv mit 1500 Biographien und ein lohnenswertes pädagogisches Portal heran. Aber seitdem es keine Zuschüsse mehr gibt, dümpelt das Angebot, das gerade jüngere Leute ansprechen könnte, weitgehend vor sich hin.

Doch nun rückt das reale Zentrum in greifbare Nähe. Die Else Lasker-Schüler-Stiftung hat vor Jahren das umfangreiche Archiv zur Exil-Literatur von Jürgen Serke erworben und präsentiert es bereits im Solinger Museum Baden. Dazu dazu soll sich nach langen Verhandlungen in Kürze die Gemäldesammlung des Solinger Unternehmers Gerhard Schneider gesellen - Stifter sind zuweilen heikel. Das zeigt sich symptomatisch am Streit um den Namen. Jahn spricht vom "Zentrum für verfolgte Künste", Schneider von "verfemten Künstlern". Der Landesverband Rheinland, der ab 2011 eine Unterstützung von 250.000 Euro jährlich zugesagt hat, dürfte da wohl auch noch ein Wörtchen mitreden.

Hajo Jahn sieht sich nach 20 Jahren nicht am Ziel, sondern plant unverdrossen weiter. 2011 will er ein Musikfestival mit den Werken verfolgter Musiker auf die Beine stellen. Ein Filmfest schwebt ihm vor, ein interaktives Angebot für Schüler, die Ausweitung der einmaligen Einrichtung aufs Bundesgebiet: "Das wäre moderne Erinnerungsarbeit."

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